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Advanced Micro Devices, Inc. (AMD)

Arithmeum – Modern Times

Samstag war ein Tag mit angenehmem Wetter, wir saßen bequem bei Kaffee und Gebäck. Christa fragte so nebenbei, was wir denn morgen eigentlich vorhätten. Ich sagte, ich hätte da gerade etwas gelesen. In Bonn gäbe es ein Museum für diskrete Mathematik, das Arithmeum. Das würde mich sehr interessieren, und Bonn ist ja auch eine schöne Römerstadt am Rhein. Ich hatte schließlich gerade einen Artikel über die Reaktivierung meines alten Taschenrechners von 1974 geschrieben. Und der sehr technische Blogartikel zu meinem Ferienjob im Glaslabor von Leitz/Wetzlar war eben fertig geworden. Christa war von der Idee sehr angetan.

Gesagt, getan. Am Sonntag, dem 12.7.2020 machten wir uns auf den Weg nach Bonn. In einem Viertel mit Gründerzeitvillen in direkter Nähe des Hofgartens liegt das Arithmeum. Es handelt sich um ein helles Museum mit sehenswerter Glas-Stahl-Architektur im Stile des Bauhauses mit passender Inneneinrichtung. Es ist im vorderen Bereich des eigentlichen Institutes gelegen. Dieses Institut für diskrete Mathematik hat die sogenannten Bonn-Tools entwickelt, mit dem neue Chips entwickelt und virtuell getestet und sogenannte Masken erstellt werden können. Diese stellen die eigentlichen Grundlagen der Chip-Produktion dar. Doch dazu noch weiter unten. Die umfangreiche Webseite des Museums erläutert die Funktionsweise der Bonn-Tools.

Die Mischung der Exponate hat etwas Besonderes. Neben sehr alten Rechenwerkzeugen, zahlreichen Rechenmaschinen und Fragmenten modernster Technik, hier insbesondere des Chipdesigns sind zahlreiche Werke der Computerkunst zu sehen. Bei dieser Form wird das sogenannte „Die“, also das Silizium-Plättchen des Chips freigelegt und hochauflösend abfotografiert. Die filigranen Strukturen werden hierbei durch künstliche Farbeffekte überlagert. Somit entstehen extrem detaillierte und bunt eingefärbte Bilder. Die Ästhetik dieser technischen Fotografien, ihre regelmäßigen, fast immer rechtwinkligen Strukturen und ihre virtuelle Farbgebung ergeben in der Summe eindrucksvolle Kunstwerke. Und das Museum ist voll davon. Bei der Betrachtung wirken sie trotz ihrer Größe leicht und hell, die Farben lockern die grafische Strenge auf.

Der Betrachter ist geneigt, diese Bilder mit anderen Werken der Industriefotografie, zum Beispiel von Fabriken, von Maschinen, von Motoren, von Schienensystemen, von Röhrensystemen in der chemischen Industrie zu vergleichen. Diese Bilder sind ebenfalls häufig von einer großen Gleichförmigkeit, somit einer schaurig-schönen Regelhaftigkeit gekennzeichnet. Eine Fotoexpedition zu stillgelegten Stahlwerken im Ruhrgebiet oder nach Völklingen im Saarland würde von der gedanklichen Thematik her ähnliche Ergebnisse liefern können. Denken Sie auch an den Film „Modern Times“ mit Charlie Chaplin von 1933, natürlich in Schwarz-Weiß gedreht. Mir fällt da die berühmte Szene mit Charlie im Räderwerk ein.

Unsere regelhaften Riesenbilder im Arithmeum sind genau solche Industriefotografien, aber diesmal aus der Gegenwart, hochmodern, extrem streng, regelhaft. Da sie dem Copyright unterliegen, zeige ich ein vergleichbares Bild eines Opteron 6-Kern-Microprozessors aus dem Jahr 2009 von Advanced Micro Devices, Inc. (AMD)

Im Erdgeschoss des Arithmeums ist ein teilweise geöffnetes PowerPC-Modul von IBM zu sehen. Wenn man hochauflösende Nahfotografien des Inneren erstellen würde, könne man zu ähnlichen visuellen Ergebnissen wie im Stahlwerk oder der chemischen Fabrik gelangen. Leiterbahnen und Chips entsprechen Röhren und Reaktoren, Formen von massiven Kühlkörpern sind auch hier wiederzuentdecken. Und die geometrische Strenge ist auch hier bemerkenswert.

Zwei große Einkristalle aus Silizium, etwa 1,5 Meter lange graue zylindrische glänzende Gebilde wie überdimensionierte Phiolen, stehen einfach so herum. Jede Menge aus solchen Einkristallen hergestellte Wafer sind zu sehen. Sie stammen aus allen bisherigen Epochen der Chipherstellung. Ja sogar ihre Urahnen werden ausgestellt, d. h. Relais, Ringkernspeicher, Röhren und Transistoren.

Und wir können an der Vorbereitung der Herstellung der bei dem Supercomputer eingesetzten PowerPC9-Mikroprozessoren quasi gedanklich und visuell teilhaben. Gemeint sind der Entwurf und die Planung der Masken für die Herstellung der Chips. Computerchips haben ja eine ganze Anzahl von Schichten – z. B. 15 – mit unterschiedlichen Aufgaben. Und diese im Faktor 10 vergrößerten Masken werden sequentiell im Rahmen der technologisch höchst komplexen Herstellung benutzt.

Jetzt habe ich doch bei soviel Euphorie für Hightech fast die Faszination für die historischen Rechenhilfen und -geräte fast vergessen, die uns ja in dieses Museum geführt hat. Ich nenne nur wenige. Die Schnüre der Inka, farbig und mit Knoten versehen, Steine der Sumerer, die alten arabischen, besser indischen Zahlen. Kugelsysteme wie den Abakus, die ihre Vorläufer bei den Sumerern hatten und sich in verschiedenen Abwandlungen bis in die Neuzeit erhalten haben. Der deutsche Rechenmeister Adam Ries hat um 1500 Rechenbretter mit Rechensteinen beschrieben. Dann konnten wir mit den Rechenstäben nach Napier spielen, einfaches Kopfrechen wäre aber auch gut dafür gewesen.

Im Mittelalter begann die Entwicklung von mechanischen Rechenmaschinen. Die eigentliche Herausforderung war die mechanische Lösung des Zehnerübertrages, möglichst in beiden Richtungen. Deswegen waren außer Pascal und Leibnitz auch nicht so berühmte Uhrmacher und Feinmechaniker maßgeblich daran beteiligt. Das waren dann Maschinen, die bis zu 4 Rechenarten ausführen konnten. Das eindeutig schönste Exponat war das Piano-Arithmométre von Charles Xavier Thomas aus dem Jahr 1855, für die damalige Weltausstellung in Paris gebaut. Es handelt sich um ein klavierähnliches Schaustück in Schwarz und viel Gold (oder Messing) mit 31 Stellen Genauigkeit.

Und dann gibt es im Untergeschoss des Museums eine Wand voller leicht unterschiedlicher Rechenmaschinen beginnend ab Anfang des 20. Jahrhunderts. Diese häufig ähnlich aussehenden Rechenmaschinen wurden noch bis etwa 1970 hergestellt. Teilweise waren sie die Erstellung von Tabellen mit einem Druckwerk ausgestattet, man kann sie sich somit gut auf dem Schreibtisch eines Buchhalters vorstellen. Mit einer solchen Maschine habe ich noch um 1969 im Glaslabor bei Leitz gerechnet. Vermutlich war es eine Brunsviga. Ich hätte auch noch gerne frühe elektronische Maschinen wie die Olympia RAE 4/30 gesehen, aber die wären nur im Rahmen einer Sonderführung zugänglich gewesen, bei Corona gar nicht, schade drum. Eine Zuse Z4 mit einer Vielzahl von Relais bei der Arbeit, das wäre es gewesen.

Bleibt noch, das Hollerith-Lochkartensystem im Untergeschoss des Museums zu erwähnen, mit Zählwerk, Sortiersystem und Pantograph-Locher. Über mehrere Nachfolgefirmen wurde daraus schließlich das Weltunternehmen IBM.

In Zusammenfassung war es ein sehr erfolgreicher Tag im Museum. Die Vorläufer als Rechenhilfen und die unterschiedlichsten mechanischen Rechensysteme werden samt ihren zeitgenössischen Nachfolgern in einem modernen und eindrucksvollen Ambiente präsentiert. Die Bilderausstellung passt vorzüglich dazu.

Ich stelle mir nun gerne vor, dass Charlie Chaplin auf den extrem rechtwinklig angeordneten Leiterbahnen herumturnt. Hoffentlich kommt er da wieder gut raus.


Das ist die Message: Hoffentlich haben uns die Maschinen nicht schon im Griff!

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