Was sagt der Leitlinien-Entwurf der DGVS 2020?
Diäten sind in. Man ist was man isst. Stellen Sie sich eine Frauenzeitschrift ohne Artikel zu Diäten vor! Weg mit den Zuckern! Ist doch klar.
Nun wir haben den Kern des Geschehens vor Augen. Es ist ganz klar, dass es auch bei dem häufigen Krankheitsbild „Reizdarmsyndrom“ jede Menge von Diätempfehlungen gibt. Vor etwas mehr als 10 Jahren kam der Begriff „FODMAP-Diät“ auf. Deswegen konnte er es noch nicht in die alten Versionen der Leitlinie RDS schaffen.
Was ist überhaupt das Reizdarmsyndrom? (Aus Leitlinienentwurf der DGVS 2020)
Statement 1-1: Definition
Die Krankheit des Reizdarmsyndroms (RDS; Irritable Bowel Syndrome/IBS) liegt vor, wenn alle drei Punkte erfüllt sind.
1. Es bestehen chronische, d. h. länger als 3 Monate anhaltende oder rezidivierende Beschwerden (z. B. Bauchschmerzen, Blähungen), die von Patient und Arzt auf den Darm bezogen werden und in der Regel mit Stuhlgangsveränderungen einhergehen.
2. Die Beschwerden sollen begründen, dass der Patient deswegen Hilfe sucht und/oder sich sorgt und so stark seien, dass die Lebensqualität hierdurch relevant beeinträchtigt wird.
3. Voraussetzung ist, dass keine für andere Krankheitsbilder charakteristischen Veränderungen vorliegen, welche wahrscheinlich für diese Symptome verantwortlich sind.
[Expertenkonsens, starker Konsens]
Die wahre Inzidenz in der Bevölkerung ist unbekannt, sie dürfte bei der Anwendung der „ROME IV“-Kriterien bei etwa 11 % liegen. Es gibt aber auch höhere Zahlen. Allerdings auch viel niedrigere, es kommt somit sehr auf die Betrachtungsweise an.
Was versteht man unter FODMAP-Diät? Nun, im Wesentlichen handelt es sich um eine zuckerreduzierte Diät. Wie viele sonstige Diäten führt sie zu einer Reduktion der Kalorienzahl und leider auch zu einer verminderten Ausgewogenheit der Kost. Somit drohen bei strenger Anwendung auch Mangelzustände.
So steht es in der Leitlinien-Entwurfsfassung 2020, Definition FODMAP:
Fermentierbare Oligo-, Di-und Monosaccharide und Polyole (FODMAPs) sind kurzkettige Kohlenhydrate, die im Dünndarm schlecht absorbiert werden. Sie werden spätestens im Dickdarm osmotisch aktiv und werden hier rasch fermentiert, sodass Bauchschmerzen, Blähungen und ein weicher, voluminöser Stuhlgang entstehen. Eine Ernährung mit einem niedrigen Anteil von FODMAPs wird bei Patienten mit RDS mit Blähungen oder Bauchschmerzen als dominantes Symptom empfohlen.
Hier einige Beispiele von Lebensmitteln mit hohem und niedrigen Gehalt von FODMAP aus J. Ockenga, Arzneiverordnung in der Praxis von 2016
Der Leitlinienentwurf 2020 bezieht sich auf lediglich zwei höherwertige randomisierte Studien neueren Datums, wovon eine klein ist und die andere nur geringe Effekte zeigt, also kaum besser als eine modifizierte Standarddiät ist. Die strukturierte dreiphasige Durchführung der Diät selbst finde ich keine leichte Übung. Die Initialphase mit 2 Monaten strenger FODMAP-Diät erinnert an die strikte Eliminationsdiät bei Verdacht auf Nahrungsmittelallergie.
Dennoch wird der Empfehlungsgrad so beurteilt:
Empfehlung 5-9a: Bei Schmerzen, Blähungen und Diarrhoe als dominantes Symptom sollte eine low-FODMAP-Diät (in drei Phasen: Elimination, Toleranzfindung, Langzeit-Ernährung) empfohlen werden. [Empfehlungsgrad B, starker Konsens]
Empfehlung 5-9 b: Bei Obstipation als dominantes Symptom kann eine low-FODMAP-Diät (in drei Phasen: Elimination, Toleranzfindung, Langzeit-Ernährung) empfohlen werden. [Empfehlungsgrad 0, starker Konsens]
Empfehlung 5-9 c: Eine begleitende medizinische Ernährungsberatung sollte empfohlen werden.[Empfehlungsgrad B, starker Konsens]
Hier die Angaben zu den zwei zitierten neueren Originalarbeiten, die die zu entwickelnde Leitlinie beeinflusst haben:
522. Eswaran SL, Chey WD, Han-Markey T, Ball S, Jackson K. A Randomized Controlled Trial Comparing the Low FODMAP Diet vs. Modified NICE Guidelines in US Adults with IBS-D. Am J Gastroenterol. 2016;111(12):1824-32.
523. Halmos EP, Power VA, Shepherd SJ, Gibson PR, Muir JG. A diet low in FODMAPs reduces symptoms of irritable bowel syndrome. Gastroenterology. 2014;146(1):67-75.e5.
Wie ich schon vorher vermutet hatte: Die FODMAP-Diät überzeugt mich hier nicht. Die Evidenzlage ist m. E. selbst in Studien schwach, die Langzeiteffekte einer strengen FODMAP-Diät werden in der Leitlinie nicht ausreichend gewürdigt. Sie dürften unbekannt sein. Bei IBS-O gibt es eigentlich gar keine Empfehlung dieser Diätform (Empfehlungsgrad 0). Ist die Fach-Ernährungsberatung in Deutschland überhaupt so aufgestellt, dass sie diese oben geschilderte Großaufgabe leisten könnte? Wird ihr das vergütet?
Was ich auf jeden Fall gelernt habe bei der Lektüre zum Thema ist der Begriff Orthorexie, also die zunehmende Einengung auf die Beschäftigung mit der Ernährung überhaupt. Ich glaube, dass diese Gefahr jedenfalls besteht.