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Erben, Vererben

Denken die Alten nur an sich selbst?

Vorletzten Sonntag war der Generationenkonflikt um Erben und Vererben wieder deutlich spürbar. Was haben wir Älteren eigentlich für Rechte im Vergleich zu den Jüngeren? Sind wir denn hedonistisch, wenn wir genau das tun, was heute für die jüngere Generation selbstverständlich ist? Gemeint ist, teure Sachen zu kaufen, also grundsätzlich Markensachen, uns aufwändig zu ernähren, regelmäßige Urlaube auch in der Ferne zu machen, Ansprüche an das Wohnen, ja an das Leben zu haben.

Mit dem Älterwerden ist das so eine Sache. Eigentlich merke ich bisher gar nicht soviel davon. Der Wegfall der beruflichen Risiken als interventionell tätiger Arzt stellt doch eine enorme Entlastung dar. Darüber habe ich an anderer Stelle geschrieben. Selbstverständlich kommen nun andersartige Einschläge näher. Ich schaue mir tatsächlich häufiger die Todesanzeigen in der Zeitung an. Erst zuletzt waren zwei Kollegen bzw. deren Angehörige dabei. Im Bekanntenkreis gibt es ernste Erkrankungen.

Ein Unterschied zu den Jungen ist aber, dass wir Immobilien unser Eigen nennen. Und die Jungen noch nicht. Die haben es sicher heute wegen der Immobilienblase schwerer damit als wir damals. Aber ich habe vier Geschwister. Das Erbe der Eltern musste damit viel weiter aufgeteilt werden, als heute üblich. Da war ich schon selbst gefragt.

Offensichtlich plagt die Jungen heute schon mal ein gewisser Neid auf uns Oldies. Wir könnten doch einfach mal eine Immobilie verkaufen, weil der Besitz eine Verschwendung darstelle. Aber was dann mit dem Geld machen? Der Inflation preisgeben? Den Jungen schenken? Achtung, halt erstmal! Was ist mit uns selbst?

Warum sind für uns Rücklagen, zu denen ich auch die Immobilien rechne, so wichtig? Nun, es gab früher mal eine Art Vertrag zwischen Jungen und Alten. Wenn die Alten dann in irgendeiner Form hilfebedürftig werden, stehen die Jungen für sie ein. Dafür ist es selbstverständlich, dass sie, also die Jungen, mit finanzieller Unterstützung bedacht werden. Sei es fortlaufend, oder im Erbfall.

Das kann ich heute in meinem privaten Umfeld allerdings nicht erkennen. Die Kontakte zu den eigenen Kindern finden meist nur sporadisch statt. Oft fallen sie auch aus. Somit bleibt uns Oldies nur, uns um unsere Angelegenheiten selbst zu kümmern. Logisch. Und dazu gehören halt auch ausreichende materielle Rücklagen. Gut, dass wir sie noch haben.

Das Leben im Wohnverbund von Altersgruppen ist auch so eine Idylle, die uns offensichtlich nicht vergönnt ist. Ich habe darüber bereits einmal geschrieben. Wenn sich eine Gruppe von Oldies zusammentäte, wäre es mit der eigentlich ersehnten Unterstützungsmöglichkeit untereinander auch so eine Sache. Der Blinde soll dem Lahmen helfen?

Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich fast genauso bin, wie meine Mutter. Ich trage meine alten Klamotten auf, repariere sie sogar, kaufe Sonderangebote, fahre bewusst wenig mit dem Auto, achte auf Umweltaspekte, achte darauf, keine Lebensmittel wegzuwerfen. Das mit der Sparsamkeit als Prinzip vermag ich bei der jungen Generation nicht wiederzufinden.

Diejenigen, die ich mir als meine Vertrauenspersonen vorgestellt hatte, wären aktuell wohl kaum in der Lage, mich im Falle des Falles zu unterstützen. Ich meine hier mehr die nichtmaterielle Hilfe, also das „Kümmern“. OK, immerhin haben wir Kinder, die aushelfen könnten. Wenigstens prinzipiell. Es handelt sich also um ein Klagen auf hohem Niveau.

Ich finde dennoch, die eigene Vorsorge für das Alter bleibt unerlässlich. Diese durch ungesicherte Erwartungshaltungen an die eigenen Kinder zu ersetzen, wäre m. E. fahrlässig. Wer weiß, wie deren Lebensweg weiter verläuft, wie wohlwollend die Kontakte zu ihnen und ihren LebenspartnerInnen in Zukunft sein werden. Die müssen schließlich ihr eigenes Leben auf die Reihe bringen.

Erben ist angenehm, Vererben will gekonnt sein!


Selbst in der bäuerlichen Gesellschaft, wie ich sie noch aus meiner Jugend kenne, gaben die Alten oft genau aus diesen Gründen ihr Eigentum erst sehr spät, manchmal zu spät an die jüngere Generation weiter. Sie wollten nicht so enden, wie es im Märchen der Gebrüder Grimm beschrieben wird.

Der alte Großvater und der Enkel

s war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun bei Tische saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch, und es floß ihm auch etwas wieder aus dem Mund. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor, und deswegen mußte sich der alte Großvater endlich hinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schüsselchen und noch dazu nicht einmal satt; da sah er betrübt nach dem Tisch, und die Augen wurden ihm naß. Einmal auch konnten seine zitterigen Hände das Schüsselchen nicht festhalten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt, er sagte aber nichts und seufzte nur. Da kaufte sie ihm ein hölzernes Schüsselchen für ein paar Heller, daraus mußte er nun essen. Wie sie da so sitzen, so trägt der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde kleine Brettlein zusammen. ›Was machst du da?‹ fragte der Vater. ›Ich mache ein Tröglein,‹ antwortete das Kind, ›daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin.‹ Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an, fingen endlich an zu weinen, holten alsofort den alten Großvater an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mitessen, sagten auch nichts, wenn er ein wenig verschüttete.

Märchen nach Jacob und Wilhelm Grimm

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