Die Überschrift klingt erstmal gut. Als ob es das schon gäbe! Von molekularer Altersforschung bis zu Anti-Aging Strategien. Ich hatte eigentlich die Idee, dass die Forschung weiter sei, schon neue Biologicals in der Pipeline hätte. So wie bei den gar nicht mehr so neuen Medikamenten bei Adipositas. Ich habe deswegen mein persönliches Orakel befragt, gemeint ist damit Medline. Die medizinische Datenbank hat mir zwei wirklich große aktuelle Übersichtsartikel geliefert:
„Hallmarks of aging: An expanding universe“ von Carlos López-Otín, Maria A Blasco, Linda Partridge, Manuel Serrano , Guido Kroemer aus Europa, Cell 2023 Jan 19;186(2):243-278. doi: 10.1016/j.cell.2022.11.001. Epub 2023 Jan 3. ist der erste der beiden schwergewichtigen Artikel. Leider handhabt der Verlag, obwohl es sich um ein Open Access-Dokument handelt, die Weiterverwendung restriktiv. Man muss bei ihm mehrfach „Bitte“ sagen, um ihn verwenden zu können.
Der zweite große Übersichtsartikel, auch Open Access, findet sich in Cell Commun Signal 2024 May 24;22(1):285. doi: 10.1186/s12964-024-01663-1. Die Autoren sind Yumeng Li, Xutong Tian, Juyue Luo, Tongtong Bao, Shujin Wang, Xin Wu aus China, der Titel lautet „Molecular mechanisms of aging and anti-aging strategies“. Die Nennung der Quelle und des CC BY 4.0 sind hier ausreichend für die Weiterverwendung. Deswegen gehe ich auf diesen Artikel ein.
Ich habe versucht, die Zusammenfassung des zweiten Artikels nach Deutsch zu übersetzen. Offensichtlich ist sie zuvor aus dem Chinesischen nach Englisch übersetzt worden, da einige sprachliche Schwächen vorliegen. Dennoch ist die Gesamtproblematik m. E. gut wiedergegeben. Elf Items auf zellulärer Ebene werden angeführt und ausführlich kommentiert, zum Teil mit Grafiken.
Zusammenfassung des chinesischen Artikels
Altern ist ein komplexer und facettenreicher Prozess, der eine Vielzahl von miteinander verbundenen molekularen Mechanismen und zellulären Systemen beinhaltet. Phänotypisch geht der biologische Alterungsprozess mit einem allmählichen Verlust der Zellfunktion einher und der systemischen Verschlechterung verschiedener Gewebe, die zu einer Anfälligkeit für altersbedingte Krankheiten führt. Starke Hinweise deuten darauf hin, dass das Altern eng mit Telomer-Abnutzung, DNA-Schäden, mitochondrialer Dysfunktion, Verlusten im Nikotinamid Adenin Dinukleotid Pool, beeinträchtigter Makro-Autophagie, Stammzellerschöpfung, Entzündung, Verlust der Protein-Balance, dereguliertem Nutrient Sensing, veränderter interzellulärer Kommunikation und Dysbiose verbunden ist.
Diese altersbedingten Änderungen können durch Interventionsstrategien wie Kalorienbeschränkung, verbesserte Schlafqualität, verbesserte körperliche Aktivität und Beeinflussung von Langlebigkeitsgenen gemildert werden. In diesem Bericht fassen wir den historischen Fortschritt zusammen bei der Erforschung wichtiger Ursachen der Alterung und die Anti-Aging-Strategien in den letzten Jahrzehnten, die eine Basis bieten für das weitere Verständnis der Umkehrbarkeit von Alterungsphänomenen. Die Anwendung synthetischer Biotechnologie in der Anti-Aging-Therapie dürfte bevorstehen.
Schlüsselwörter: Altern, Alterungs-Trigger, Synthetika, Senolytika, Anti-Aging-Strategien
Erstaunlich finde ich im langen Artikel den raschen Schwenk im inhaltlichen Duktus. Nachdem zunächst die Aspekte des Alterns auf zellulärer Ebene detailliert im Vordergrund stehen, erfolgt abrupt der Übergang auf mehr praktische Anti-Aging-Strategien wie Kalorienbeschränkung, besseren Schlaf und ausgewogene körperliche Aktivität. Das klingt für mich doch eher populärwissenschaftlich.
Anschließend sind exogene Substanzen in der Beeinflussung des Alterns als Kandidaten an der Reihe. Hier ist die Tabelle, die aber eigentlich keine großen Überraschungen bietet. Jedenfalls stellt sie die große Vielfalt der Ansätze dar. Was da alles schon getestet wurde! Viele der Substanzen würde ich heute als obsolet ansehen. Die Autoren verwenden im unteren Teil der Tabelle den Begriff „Senolytics“. Das ist schon alleine semantisch eine starke Sache, mit Sicherheit mehr Wunschdenken als Realität. Die Literaturzitate habe ich aus der Tabelle entfernt, sie sind im Originalartikel zu finden.
Teil 1 der Tab. 1
aus Molecular mechanisms of aging and anti-aging strategies
Synthetic and Natural small-molecule compounds | |||
---|---|---|---|
Substance | Molecular target | ||
Metformin | genomic instability, mitochondrial function, stem cell rejuvenation capacity, epigenetic alterations, autophagy, DNA-damage, and telomere attrition | ||
klotho | increased the levels of multiple platelet factors in plasma, improve cognitive ability | ||
platelet factor 4 (PF4) | attenuated age-related hippocampal neuroinflammation, elicited synaptic-plasticity-related molecular changes and improved cognition in aged mice | ||
Hyaluronac acid | reduced inflammation and oxidative stress, improved gut barrier function | ||
Taurine | Improved the function of bones, muscles, pancreas, brain, fat, intestines and immune system; prolonged healthy life span | ||
Acarbose | Ameliorated epigenetic changes, nutrient sensing. | ||
Rapamycin | Ameliorated proteostasis, mitochondrial dysfunction, nutrient sensing, stem cell dysfunction, intercellular communication, and cellular senescence | ||
Spermidine | Ameliorated epigenetic changes, proteostasis, mitochondrial dysfunction, stem cell dysfunction, and intercellular communication | ||
NAD+enhancers | Ameliorated intercellular communication, mitochondrial dysfunction | ||
Non- steroidal anti- inflammatory drugs | Ameliorated nutrient sensing and intercellular communication | ||
Lithium | Ameliorated telomere attrition, proteostasis, and mitochondrial dysfunction | ||
Reverse transcriptase inhibitors | Ameliorated DNA damage | ||
Systemic circulating factors | Ameliorated epigenetic changes, stem cell dysfunction, and intercellular communication | ||
Glucosamine | Ameliorated proteostasis, mitochondrial dysfunction, and nutrient sensing | ||
Glycine | Ameliorated nutrient sensing and intercellular communication | ||
17α-oestradiol | Ameliorated nutrient sensing and intercellular communication |
Teil 2 der Tabelle
Senolytics | ||
Senolytic class | Molecular target | |
Natural polyphenol extract | Quercetin, Piperlongumine and analogs, Fisetin, Curcumin, Procyanidin C1, Gingerenone A | Promote senescent cells apoptosis, intercellular communication, autophagy, metabolic changes |
Kinase inhibitors | Dasatinib, Nintedanib, R406 | |
BCL-2 family inhibitors | ABT-263 | |
Heat shock protein inhibitors | 17-DMAG and other HSP90 inhibitors, 25-hydroxycholesterol | |
BET family protein degraders | ARV825, I-BET151, I-BET762, JQ1, OTX015, PFI-1JQ1 | |
P53 stabilizers | RG-7112, USP7 inhibitors P5091 and P22077 | |
Cardiac steroids | Bufalin, cinobufagin, convallatoxin, digoxin, ouabain, peruvocide, proscillaridin A | |
PPRα agonists | Fenofibrate | |
Antibiotics | Azithromycin, roxithromycin |
Meine Interpretation
Ich glaube nun, dass die Zellalterung und damit die Alterung normal sind. Die Alterskrankheiten scheinen eine Folge davon zu sein. Wenn es auch Anti-Aging Strategien und diverse experimentielle Ansätze gibt, das Altern vielleicht etwas hinauszuschieben, so ist festzuhalten, dass es unwahrscheinlich ist, gesund zu sterben. Vielleicht ist es möglich, ein höheres Alter vergleichsweise fit zu erreichen, aber die Lebensspanne ist durch bewusste Strategien oder Medikamente bisher nicht sehr zu verlängern. Vergleichende, wissenschaftliche Studien dazu beim Menschen sind mir nicht bekannt. Bedeutsamer scheinen immer noch äußere Einflüsse, wie auch die Persönlichkeit, natürlich auch die Gene. Von molekularer Altersforschung bis hin zu wirksamen Anti-Aging Strategien ist immer noch ein weiter Weg.
Ps. Vielleicht sind dem geneigten Leser meine Ausführungen zu unpräzise. Deswegen habe ich die Originalquellen beigefügt. Sehen Sie selbst.