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Arzt als Herrgott

Ethikkonsil

Jahrzehnte war ich für die fachspezifischen gastroenterologischen Fragestellungen bei Patienten auf der Intensivstation zuständig. Dabei war ich oft auf Ärzte anderer Abteilungen, meist der Anästhesie angewiesen. Zum Beispiel bei der Indikationsstellung zur Beatmung. Auch ethische Fragen spielten in der Zusammenarbeit eine Rolle.

Nachdem ich jetzt im Ruhestand bin, möchte ich meine Erfahrungen im Umgang mit den Schwerkranken loswerden, sie mir von der Seele schreiben.

https://www.divi.de/pressemeldungen-nach-themen/covid-19/200423-pressemeldungen-divi-aktualisierung-ethik-paperAnlass ist die gestrige Pressemitteilung des BVG zum Thema Triage und COVID-19. Neun mehrfach Erkrankte und Behinderte hatte der Bundesregierung Untätigkeit vorgeworfen, und sie zur Einrichtung eines Gremiums zwingen wollen, dass diese Empfehlungen quasi politisch regeln sollte. Das BVG hat den Eilantrag dazu verworfen, somit sind Ärzte zunächst wieder direkt in der Pflicht. Die DIVI hatte dazu extrem schnell am 25.3.202 eine Ethik-Empfehlung veröffentlicht, die am 17.4.2020 bereits in der zweiten Version vorlag. Aber selbst diese ist meiner Meinung nach mit der heißen Nadel gestrickt, wenn man den üblichen Ablauf bei der Leitlinienerstellung als Maßstab nimmt.

Zu dem damaligen Zeitpunkt Ende März lag definitiv keine Überlastung des Systems vor, man war immer sogar sehr weit davon entfernt. Es waren ja in Eile mit öffentlichen Geldern eine Reihe von zusätzlichen Beatmungsmöglichkeiten geschaffen worden, die niemals genutzt wurden. Von den Verhältnissen in Italien, Spanien oder Frankreich war Deutschland zu jedem Zeitpunkt weit entfernt. Man kann somit im Umkehrschluss konstatieren, dass es in Deutschland eine außerordentlich großzügige regelhafte Versorgung von Schwerkranken gibt.

Aber die DIVI hatte bereits Formulare für die Triage geschaffen, siehe die Empfehlungen selbst. Ich kann die Beschwerdeführer gut verstehen. Wir leben in Deutschland, unsere Geschichte ist nicht vergessen. Warum sollten sich nicht politische Gremien mit dieser prekären Frage beschäftigen?

Nun gut, die Öffentlichkeit schaut nun auf die Problematik, und das ist gut so. Geheimniskrämerei ist da nicht mehr möglich. Schauen wir mal, was daraus wird.


Ich habe etliche sogenannte „Ethikkonsile“ miterlebt. Eigentlich sollte es gar nicht so weit kommen. Denn jeder Mensch sollte früh genug festgelegt haben, was im Fall der Fälle passieren soll. Wenn ein solch formelles Vorgehen stattfindet, ist meiner Meinung nach das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Denn es hat dann jemand, beispielsweise ein Angehöriger oder vom Personal diesen Ablauf initiiert. Das drückt meiner Meinung nach aus, dass die Kommunikation zuvor schwer gestört war, dass Uneinigkeit über das Gesamtvorgehen bestand. Das kann auch bedeuten, dass es zuvor fachliche Diskrepanzen zwischen Ärzten gab.

Es ist eigentlich klar, das der Maßstab aller ärztlicher Entscheidungen der mutmaßliche Wille des Patienten ist. Wer sitzt in so einem Gremium? Nun, ein Vertreter des Patienten, also beispielsweise ein naher Angehöriger, eine betreuende Pflegekraft, der fachlich zuständige Arzt, eine/ein SeelsorgerIn und der/die LeiterIn der Ethikkommission, der eventuell nicht neutral sein kann, da er hierarchisch Vorgesetzter ist.

Jetzt stellen Sie sich mal vor, es geht um einen Patienten, der zwar schwer krank ist, der aber nicht umgehend sterben würde, der nicht hirntot ist, vielleicht nur eine niedrige Dosis eines Katecholamines erhält. Er wurde vielleicht vorher schon viele Tage auf der Intensivstation behandelt. Dann wird lange hin und her überlegt, und das Gremium kommt zu dem Entschluss, die Therapie von einem auf den anderen Moment abzubrechen, und den kurzfristigen Tod des Patienten durch einen Morphinperfusor gezielt herbei zu führen. Und das wird tatsächlich umgehend umgesetzt. Man meint, bei den KollegInnen danach eine Art Euphorie spüren zu können. Es „wird jemand gestorben“ – tatsächlich.

Also ehrlich, hier hört es auf für mich. Diese Professionalisierung des Sterbens als aktives Handeln ist nichts für mich. Ich war religiös geprägt, habe relativ früh den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, bin erst in der zweiten Runde anerkannt worden. Ich bin auch nicht für Abtreibung, finde die Gründe dafür an den Haaren herbeigezogen in einem so reichen, kinderarmen Land. Ich habe irgendwie Respekt vor dem Leben und fühle mich diesem verpflichtet, nicht dem Tod.

Ich meine, dass hier eine Grenzüberschreitung droht, wenn sie nicht schon geschieht. Trotz aller schönen Worte von Palliativmedizinern und sogenannten „Experten“ für das Sterben. Sind die denn alle schon mehrfach gestorben? Wissen die, wie das geht? Was wollen die eigentlich? Ist Sterben schön? Oder – und das ist mein eigentlicher schlimmer Verdacht – sich als Herr über Leben und Tod aufzuspielen ist das eigentliche Motiv. Das ergibt Allmachtsgefühle.

Warum hat die DIVI vorauseilend eine Art Leitlinie veröffentlicht, ohne dass eine zwingende Notwendigkeit vorlag? Es hätte bereits genügend Strategien für die Situation gegeben.


Ich bitte um Respekt für die Priorität des Erhaltens des Lebens, das für uns Ärzte selbstverständlich sein sollte: Im Zweifelsfalle sind wir immer für das Leben. Alles andere finde ich verwerflich.

Was tun? Ich denke, der Wille der Patienten selbst sollte im Mittelpunkt stehen. Es sind dort weitere Anstrengungen nötig, um das allgemeine Wissen darüber zu erhöhen.

*Oder soll ärztlich assistierter Suizid etwas Beliebiges wie eine Urlaubsreise, wie der Besuch einer Shopping-Mall oder eines Erlebnisparkes sein? Wenn die Option Suizid zu einem bloßen Ausdruck der persönlichen Freiheit verkommt, wofür wird da eine staatliche Regelung benötigt? OK, bei der Abtreibung, die kein Suizid ist, ist das auch heute schon so. Aber wie ich schon sagte, ich selbst stand und stehe dafür nicht zur Verfügung. Für Schwerkranke, die leiden, gibt es auch heute schon gnädige Möglichkeiten, ihnen zu helfen. Aber das ist m. E. etwas ganz anderes als Lifestyle-Suizid. Deutschland möge vorsichtig sein und die eigene Geschichte bedenken!

*Nachtrag vom 13.9.2020

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. alrsl

    Gestern war große Debatte im Bundestag um die Neuregelung der Sterbehilfe. Es gab immerhin 38 Wortbeiträge, was das Interesse um das Thema anzeigt. Dabei gibt es von Vorschlägen, die wie früher das Strafrecht bemühen, bis hin zu sehr liberalen Meinungen alles. Selbst in den einzelnen Parteien gibt es unterschiedliche Meinungen. Ich finde, das ist OK. Eine Gruppe um Frau Künast unterscheidet zwischen Sterbehilfe bei chronischen, schweren Erkrankungen und einer davon unabhängigen, die als bewusste Entscheidung zu sehen ist und keine Vorbedingungen haben kann. Sonst gäbe es das Recht ja nicht. Der ersteren Gruppe von terminal Kranken wird auch heute schon geholfen, wie konstatiert wird. Bei der zweiten Gruppe wird man Regularien definieren müssen, die irgendwie überprüfen, ob das eine völlig freie Entscheidung des Betreffenden darstellt. Und doch nicht durch soziale Zwänge oder wirtschaftliche Vorteilsnahmen der Sterbehelfer begründet ist. In der laufenden Legislaturperiode wird da wohl nichts definitiv mehr geregelt werden. Interessant fand ich noch den Kommentar irgendwo, dass es keinen Rechtsanspruch auf Sterbehilfe gibt. Also keinen Anspruch an die Gesellschaft. Ach so, die Giordano Bruno-Stiftung positioniert sich hier natürlich wie erwartet. Freiheit des Menschen. Es scheint aber insgesamt nicht einfach zu sein.

  2. Albrecht Lang

    Nur zur Klärung wegen meiner Einstellung zur Abtreibung: Die Haltung der AfD zu diesem Thema finde ich total scheinheilig! Der A-Partei geht es nur um die Vergrößerung des „Volkes“. Wenn denen die generelle Ablehnung der Tötung ein Herzensanliegen wäre, würden sie klare Worte zum Holocaust finden, sich von den Nazis in ihren Reihen distanzieren, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und den Hass aus ihrem Repertoire streichen. Und die Evangelikalen sollten nicht auf diese Unredlichkeiten hereinfallen. Unglaublich, die machen gemeinsame Sache mit Nazis!

    1. Albrecht Lang

      Jetzt hat sich der Erfolgsautor Ferdinand von Schirach des Problems des ärztlich assistierten Suizids angenommen. In Düsseldorf und Berlin fanden die Uraufführungen des Stückes mit dem Titel „Gott“ statt. Ein eigentlich recht fitter 78-jähriger möchte nach dem Tode seiner Ehefrau aus dem Leben scheiden, nach 42-jähriger Ehe. Es läge keine Depression vor. Die Argumentation erfolgt über die persönliche Freiheit des Kandidaten. Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist eine Art Rechtsunsicherheit entstanden, da die eigentliche gesetzliche Regelung aussteht. Das BVG hat ja die moralische Position des Suizidverbotes aufgegeben. Im Stück entscheidet das Publikum 50 gegen 17 für den Suizidwunsch, also die Todesspritze für den Kandidaten. In den Rezensionen werden sein eloquenter Auftritt und die fulminante Argumentation seiner Anwältin geschildert, die die anderen Mitglieder des „Ethikkonsiles“ der Unglaubwürdigkeit oder sogar der Lächerlichkeit preis gibt. Der Weltärzteverband soll sich gegen die Argumentationsweise gestellt haben.

  3. FF

    Albrecht, dem ist nichts hinzuzufuegen. Ich kenne das Thema aus einer ganz anderen Perspektive. Da reden wir mal drueber
    Friedhelm

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