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Das Gegenteil von Freiheit ist Krankheit!

Das Gegenteil von Freiheit ist Gesundheit

Juli Zeh in: Der Standard 18.2.2017 – Gesundheit – Lifestyle

Juli Zeh als Fürsprecherin der „Querdenker“?

Das habe ich neulich so aufgeschnappt: Juli Zeh alias Julia Finck, die bekannte Juristin und Schriftstellerin, wird als Kritikerin der Coronamaßnahmen, somit als eine Vorzeigefrau der „Querdenker“ präsentiert. Nun mal ehrlich, kann das sein? Eine so kluge Frau soll mit Aluhutträgern, Impfgegnern, Globuli-Befürwortern und Verschwörungstheoretikern und am Ende sogar noch mit Neonazis sympathisieren?

Corpus Delicti

Nun hat Frau Zeh schon früher, als wir von Corona noch nichts wissen konnten, zunächst ein Theaterstück für die Ruhr-Triennale und 2009 ein Buch über eine Gesundheitsdiktatur geschrieben. Die Geschichte gehört zum Genre Dystopie der Science-Fiktion-Literatur. Und im Juni 2020 hat sie als Ergänzung und Erweiterung „Fragen zu Corpus Delicti“ verfasst. Wenn man Rezensionen und Leserkommentare dazu überfliegt, so muss man festhalten, daß die Vereinnahmung von Frau Zeh für solche einfache Denkweisen nicht stimmen kann.

Sie scheint aber medial etwas auf Tauchstation zu sein, hat nichts von Karl Lauterbach an sich. Leider sind ihre aktuellen Interviews alle hinter Paywalls versteckt. Gut, das macht die Sache etwas schwieriger, ist aber ok. Ich denke, ich sollte mich mit den beiden zusammenhängenden Publikationen mal befassen.

Der obige kurze Essay aus dem Standard, das auch als Traktat im Luther-Jahr 2017 in 95 Anschläge – Thesen für die Zukunft vom Fischer-Verlag publiziert wurde, soll aber nicht unkommentiert bleiben. Kurz – ich finde, schon der Titel führt zu weit. Ich bin als Arzt Jahrzehnte mit Patienten in Kontakt gewesen. Deswegen kann ich diese Überschrift nur als Provokation verstehen.

Dass die Gesamtgesellschaft kurz davor stünde, eine Gesundheitsdiktatur zu werden, in der Andersdenkende sanktioniert würden, das kann ich nicht nachvollziehen. Das Gegenteil gilt eher. Dann müssten Raucher, Trinker, Couch Potatoes, Übergewichtige und Vorsorgeverweigerer sanktioniert werden. Davon kann ich aber nichts erkennen. Mir fällt als Beispiel die Adipositasmedizin ein, die ja das glatte Gegenteil einer Sanktion darstellt.

Vielleicht lebt Frau Zeh in einem sozialen Umfeld, in dem ein Gruppendruck besteht, eine Meinungsnormierung, die Abweichungen davon nicht belohnt. Aber gilt das für die gesamte Gesellschaft in Deutschland? Ich gehe davon aus, das eine Diversifizierung der Meinungen letztlich doch selbstverständlich ist.

Der Gesundheitsbewusste praktiziere den Aufwand nur wegen der Steigerung seiner persönlichen Effizienz. Und dies sei gesellschaftlich gefordert, ja geradezu der kapitalistische Imperativ: Funktioniere! Man beachte die Wortwahl, Kant lässt grüßen. Klar, es gibt eine bestimmte gesellschaftliche Schicht, die das so praktizieren mag. Aber die vielen Patienten, die ich gesehen habe, für die war ihre Gesundheit mehr als Lifestyle, mehr als Selbstoptimierung. Ihre Krankheiten störten ihr Leben und ihre Freiheit empfindlich.

Ist Frau Zeh noch zu jung, um den Gedankengang, dass Gesundheit das höchste Gut sei, verstehen zu können?

Das Recht auf Fehler, besser auf Fehlverhalten im Umgang mit der eigenen Gesundheit ist jedem in unserer Gesellschaft unbenommen, meine ich.

In der Zeit meiner Berufstätigkeit war das nie anders, und kann deswegen keinen Anflug von Diktatur erkennen. Ich habe bei den Patienten mit Leberzirrhose immer respektvoll von der Alkoholkrankheit als Ursache gesprochen, nicht vom Alkoholiker. Adipöse brauchte ich gar nicht zu ermahnen, sie wissen das ja schon. Dass unsere Wohlstandkrankheiten alle eine lange Vorgeschichte der Selbstschädigung haben, ist bestens bekannt.


Und noch ein Letztes: Das Infektionsschutzgesetz ist kein Ermächtigungsgesetz wie 1933. Das hat selbst Prof. M. von der A-Partei gestern so formuliert. Es dürfte vermutlich Schwächen haben, und die Aufmerksamkeit der Demokraten ist sicher nötig.

Aber die Einschränkungen im Rahmen der gegenwärtigen Pandemie auch nur gedanklich in eine solche Nähe zu rücken, dass sollte unbedingt vermieden werden. Durch sie droht bestimmt keine Gesundheitsdiktatur. Ansonsten bestimmen die vielen Toten nämlich diktatorisch die Maßnahmen.

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