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Basilius-Kathedrale, Kathedrale des seligen Basilius, Russisch-orthodoxe Mariä-Schutz-und-Fürbitte-Kathedrale

Moskaureise 1970

Die Zeit der politischen Entspannung ist heute vorbei!

Bei den Fotos handelt es sich um meine eingescannten Dias. Benutzt wurde ein ORWO-Film aus der DDR.

Zu Beginn des Frühjahres 1970 muss es gewesen sein. Es war die Zeit meiner Kriegsdienstverweigerung. Ein Teil der Russisch-AG an der Herderschule in Gießen unternahm mit CVJM-Reisen eine Kurzreise nach Moskau. Initiator war damals unser Russisch-Lehrer Herr Fischer-Neumann. Er nahm auch selbst an der Reise teil. EffEnn wurde er von uns genannt, er war gleichzeitig auch mein Lateinlehrer. Nach meiner Erinnerung hat er später sogar Chinesisch unterrichtet. Er war somit seiner Zeit weit voraus. Er, der eigentlich wie ein typischer Pauker wirkte, mit seinem leichten Wiener Dialekt. Fünf Jahre Russisch-Unterricht habe ich bei ihm gehabt, die Kenntnisse aber leider nie verwertet.

Unsere Gruppe in Moskau

Ich möchte kurz festhalten, dass aktuell eine solche touristische Reise aus politischen Gründen nicht möglich wäre. Russland hat derzeit fast alle Informations-Kanäle zum Westen hin geschlossen. Kaum zu glauben! Nur seine Energielieferungen und die Geldzahlungen Europas in Höhe von einer Milliarde EU täglich funktionieren. Immer noch! Krass! Die russische Bevölkerung wird mit komplett einseitigen, zensierten Informationen manipuliert. So sind nach einer unabhängigen (?) Umfrage immerhin 80 % der Befragten für den Krieg gegen die Ukraine, der aber so nicht genannt werden darf. Hoffentlich werden wir hier ausgewogener informiert!

Damals war aber aus dem Kalten Krieg heraus Entspannung angesagt. Mit Beginn unter Kanzler Willy Brandt kam es kurz hintereinander zum Abschluss mehrerer Ostverträge. Besonders bekannt ist der Kniefall Brandts vor dem Denkmal der Helden des Warschauer Ghettos im Jahr 1970. Das war die Zeit der Annäherung, ja sogar der Beginn einer Aussöhnung. Brandt erhielt für seine Politik im Jahr 1971 den Friedensnobelpreis. Die Menschen im Osten Deutschlands halten zum Teil Russland immer noch für einen Garanten des Friedens. Die Ideologie Putins entspricht aber heute über weite Strecken der von Hitler. Am russischen Wesen soll die Welt genesen!

Zunächst fuhren wir vier nach Westberlin. EffEnn, Horst, Wilfried, Harald (meine Vermutung) und ich. Über den unwirklichen, ja menschenverachtenden Grenzübergang am Bahnhof Friedrichstraße ging es in den Osten Berlins. Vom Flughafen Berlin-Schönefeld führte uns die Reise zusammen mit weiteren Teilnehmern direkt nach Moskau, das zu dieser Zeit recht winterlich war.

Ich erinnere mich noch an das russische Flugzeug mit Triebwerken in den Tragflächen, sehr rumpfnah gelegen. Es muss sich somit wohl um einen Jet TU-104 oder einen seiner Nachfolger gehandelt haben. Dieser war nach der britischen De Havilland Comet weltweit das zweite Passagierflugzeug mit Strahltriebwerken. Der Erstflug der TU-104 fand bereits 1956 statt. Es handelte sich dabei letztlich um die Weiterentwicklung des sowjetischen Bombers TU-16. Mir kam das Flugzeug, obwohl sein Komfort später gelobt wurde, damals etwas klapperig vor.

Hotel Turist 1970

Untergebracht waren wir anschließend im einfachen Hotel Tourist. Ich erinnere mich an eine sehr einfache Zimmerausstattung, aber immerhin mit nostalgischem Wahlscheiben-Telefon. Dieses Hotel gibt es auch heute noch. Anhand der Bilder und der Kommentare bei TripAdvisor konnte ich es identifizieren. Es ist das Hotel Biznes-Turist, Ulitsa Sel’skokhozyaystvennaya, 17, korp. 5, Moscow, Russland, 129226.

Dieses ältere Hotel aus der Nachkriegszeit, es ist in Wirklichkeit ein ganzer Komplex, liegt in etwa 13 km Entfernung vom Zentrum, aber nahe an einem Messegelände und der Metro. Mit dem PKW würde man heute wohl 40 Minuten bis zum Zentrum benötigen.

Wir haben sowohl Busse, die eindrucksvolle Metro als auch Taxis benutzt, um unsere Ziele zu erreichen. Dabei waren wir immer von einem einzigen Fremdenführer begleitet. Aus meiner Sicht hatte der die Aufgabe, uns zu kontrollieren und dennoch die Vorzüge des Sozialismus zu zeigen.

Also imposante Bauten wie die Lomonossow-Universität, einen Hörsaal, eine Buchhandlung, die „heiligen“ Hallen der Metro, die wie Kathedralen gebaut sind, den imposanten Roten Platz samt Kreml, das Kaufhaus Gum, die benachbarten sakralen Kuppelbauten, das Lenin-Mausoleum. Eine respektgebietende funktionierende Großstadt sollte uns offensichtlich nahegebracht werden.

Obwohl, direkten Kontakt zu normalen Menschen, also zu Bewohnern Moskaus, den Besuch normaler Wohngebiete in der Riesenstadt, das haben wir nicht erlebt. Nur eine Erinnerung an einen Moskauer Bürger ist mir haften geblieben, als unser Taxi mit niedriger Geschwindigkeit einen Passanten anfuhr und der zu Boden stürzte. Unser Fahrer hat ihn laut angeschrien, woraufhin der Mann sich verflüchtigte. Was das wohl zu bedeuten hatte? Immerhin einen Unfall mit Personenschaden womöglich. Oder war es eine Inszenierung? Ich weiß es nicht.

Was für eine andere Zeit als heute! Allerdings lag die gefährliche Kubakrise erst einige Jahre zurück. Angesichts des Erschreckens vor der Zerstörungsgewalt eines Atomkrieges begannen die Supermächte, damals Spannungen abzubauen. Der Osten hatte durchaus technologische und wirtschaftliche Erfolge vorzuweisen. Das kann man von dem heutigen Russland im Vergleich zum Westen oder China kaum sagen. Russland ist heute ein an Energie und Rohstoffen reiches Land. Die einfache Bevölkerung hat bisher noch nicht sehr viel von diesem Reichtum abbekommen.

Wir hatten damals die Erwartung, dass eine Annäherung zwischen West und Ost möglich sein könnte. Russland und der Osten ist ja auch sehr spannend. Eine imposante Natur des Riesenlandes, eine interessante Kultur. Mehrere weltberühmte Dichter und Komponisten stammen aus diesem Land, einige berühmte Musiker und Tänzer. Die Muttersprache in der Szene der Standard- und LateintänzerInnen in Deutschland ist häufig russisch oder ukrainisch. Wir haben das selbst im Tanzsportverein erlebt. Schauen wir uns einfach mal Let’s Dance an!

Eine Illusion war es dennoch. Fünf Jahre Russisch-Unterricht für nichts. Wandel durch Handel hat hier nicht funktioniert! Dazwischen gab es allerdings 50 Jahre lang „Frieden“ zwischen Ost und West. Ist ja auch etwas.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Horst

    Als wir auf dem Flughafen in Moskau gelandet waren, wollten sie mich nicht einreisen lassen, weil ich nicht gegen die Pocken geimpft war. FiNo hat zwei Stunden mit ihnen diskutiert bis ich durfte. Eine völlig andere Zeit

  2. Gerhard

    Hoffentlich pflegen auch in Russland Menschen solche Erinnerungsschätze. Sie enthalten Hoffnung und sind vielleicht die Samen, die aus den Trümmern sprießen, wenn die gegenwärtige Episode des rezidivierenden politischen Wahnsinns vorüber ist.

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