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Verstärker Front Selbstbau

Basteln mit elektronischen Bauteilen zeitgemäß?

Neulich beim Ausräumen im Keller, da habe ich ihn wiedergefunden: Meinen völlig aus diskreten Bausteinen aufgebauten Audioverstärker. Alles daran ist selbstgebaut. Sogar den Netztrafo habe ich selbst gewickelt. Um die 21 Jahre alt muss ich damals gewesen. Ich war Student der Medizin, bald verheiratet. Und soll Zeit für so etwas Selbstgebautes gehabt haben? Natürlich war das Geld knapp, freies Einkommen hatte ich nicht. Mal ehrlich: War oder ist das Basteln mit diskreten elektronischen Bauteilen denn zeitgemäß oder sinnvoll?

Der Audioverstärker hatte mehrere schaltbare Eingänge, sogar einen für den Stereodekoder. Dafür habe ich extra ein Kofferradio angezapft und das Mix-Signal ausgeleitet. Dann gab es einen Stereo-Eingangsverstärker mit Klangregelung, eine Phono-Eingangsstufe für den Plattenspieler und einen Ein-/Ausgang für das Tonbandgerät. Die Leistungsendstufen hatten je ca. 20 W Leistung, sie waren ebenfalls völlig diskret aufgebaut in Klasse AB-Technik. Die passenden großen 100 W-Lautsprecher habe ich natürlich auch selbstgebaut. Sie dienen heute noch als Ständer für das 33 kg schwere Master-Keyboard von Yamaha. Da wackelt nichts.

Die Schaltungen habe ich auf dünnen Pertinaxplatten aufgebaut, die ich dafür mit passsenden 1 mm-Bohrungen im 2,5 mm-Raster versehen habe. Die Verdrahtung erfolgte dann ober- oder unterhalb der Platten passend zum aufgeklebten Verdrahtungsplan. Löten konnte ich schließlich. Ob ein Audioverstärker funktioniert, das kann man schließlich hören. Dafür benötigt es kein komplexes elektronisches Messlabor, höchstens ein einfaches Vielfachmessgerät und gute Ohren. Brummen, Rauschen, Verzerrungen, Rückkopplung, Übersprechen, Stereokanäle, das alles kann man schließlich als akustische Signale. Überhitzung kann man fühlen oder messen.

Obwohl so viel Aufwand („Herzblut“) damit verbunden war, habe ich den Verstärker vor einigen Jahren in den Ruhestand geschickt. Die Poti-Regelung für den Arbeitspunkt der Endstufen war mir nicht mehr stabil genug. Irgendwann ist es auch mal gut mit dem Basteln, wenn es nämlich um die Sicherheit geht. Vor dem Entsorgen habe ich noch schnell einige Fotos erstellt. Kaum zu glauben, was ich so gebastelt habe.

Bei all den Vorzügen der virtuellen Simulation mit modernsten Geräten finde ich immer noch, dass Basteln mit elektronischen Bauteilen zeitgemäß und sinnvoll ist. Es vermittelt nämlich ein unmittelbares Gefühl für die Bausteine und das, was sie machen sollen, die passende Intuition. Der Unterschied zwischen einem Transistor und einem FET erschließt sich bei dem Einsatz. Da diese immer noch Grundlage modernster Informationstechnik sind, resultiert aus dem Basteln ein basales Verständnis für die Grundlagen. Heute üblich sind allerdings konfektionierte Bausätze, beispielsweise von Conrad. Drauflos basteln fand ich damals reizvoller.

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