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Ethik in der Politik?

Vielleicht erinnern wir uns, dass die SPD im Nachkriegsdeutschland mal eine große Volkspartei war, meist die zweitgrößte, und dass sie sich von einer Arbeiterpartei zu einer Volkspartei entwickelt hat. Nun hat sie nur noch 15 %, sie wurde sogar von der A-Partei schon mal überholt. Warum ist das so? Was ist aus den Zielen der Arbeiterpartei geworden? Was ist mit der Ethik in der Politik? Ein ähnliches Thema ist Pazifismus. Gibt es den noch?

In dieser Zeit hat sich aber auch das Umfeld weiterentwickelt. Wir leben in Deutschland in einer sogenannten sozialen Marktwirtschaft, auch Rheinischer Kapitalismus genannt. Rheinisch könnte man auch durch „Bonner“ ersetzen. Aber wie auch immer. Man kann dies insgesamt als deutschen Sonderweg ansehen, im Gegensatz zum amerikanischen Kapitalismus, den wir derzeit unter Trump in seiner hässlichsten Form erleben. In Deutschland ist es gesellschaftlicher Konsens, dass der Staat eingreift bei öffentlichen und privaten Notständen, und dass auch Firmen ihren Anteil dazu beitragen, zum Beispiel über Tarifverträge, dass wir ein Betriebsverfassungsgesetz haben. Firmen, die dies geplant aushebeln, wie Amazon oder andere Internetfirmen, haben hier per se ein schlechtes Image.

Sigmar Gabriel war ja lange einer der Heroen der SPD, ein gestandener Politiker, mit mehreren früheren Ministerämtern, mit Erfahrungen als Ministerpräsident in Niedersachsen, ein typischer Funktionär, umfangreich vernetzt. Es ist müßig, die zahlreichen Details seiner Vita darzulegen, siehe dazu Wikipedia. Er hatte sich nach seinem Rückzug aus dem Bundestag als Berater engagiert und wurde in mehrere Aufsichtsräte gewählt, u. a. bei der Deutschen Bank und bei Siemens. Das ist sicher nur ein winziger Auszug aus seinen Verpflichtungen.

Nun kam Coronavirus und hat die eklatanten Missstände bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück offengelegt. Das ist der größte Schlachtbetrieb in Deutschland, über 30 % der Tiere werden hier verarbeitet. Und die Kernarbeit wird von einer Heerschar von scheinselbständigen Niedriglohnarbeitern aus Osteuropa unter skandalösen Bedingungen geleistet. Das Geschäftsmodell ist schon lange bekannt, es wurde aber nichts dagegen unternommen von öffentlicher Seite her. Fleisch ist bei uns billiger als Obst, das ist schon absurd.

Es kam, wie es kommen musste, auch Sigmar Gabriel stand als Berater auf der Gehaltsliste von Tönnies. Jetzt hat es also wieder einmal einen ehemaligen prominenten Politiker erwischt. Es fällt uns leicht, die offenkundige Missachtung seiner eigenen früheren ethischen Standards zu konstatieren. Gerhard Schröder ist als Putin-Freund damit in die Geschichte eingegangen. Krass, wenn der sich zu den aktuellen Themen seiner Genossen äußert. Wer so jemanden zum Freund hat, braucht keine Feinde mehr.

Aber irgendwie wird man mit der Kritik daran nicht froh. Wir wünschen uns doch, wie Kinder fast, elternähnliche Politiker, zu denen man aufsehen kann, die ethische Ziele verfolgen, die über Zweifel erhaben sind, die fast Lichtgestalten gleichen. Gibt es sogar eine Ethik in der Politik? Denken wir an Personen wie Friedrich Engels, August Bebel, Willy Brandt, Herbert Wehner oder Johannes Rau. Diese repräsentierten in ihrer Person Glaubwürdigkeit. Aber heute? Die SPD verschleißt ihre Führungspersonen so in rasanter Folge, dass man es bald nicht mehr hören mag. Was ist da los mit der ehemals stolzen und verwurzelten Arbeiter- und Volkspartei?

Sind die Führungspersonen der anderen Parteien besser? Blackrock Friedrich Merz etwa? Autolobbyist Andreas Scheuer? Weinkönigin Julia Klöckner? Faschist Björn Höcke? Man kann das beliebig fortsetzen.

Bleibt noch Angela Merkel. Die hat ja mal mit ihrem „Wir schaffen das!“ 2015 tatsächlich ethisches Verhalten an den Tag gelegt, die Pfarrerstochter. Das hatte etwas von einer Lichtgestalt. Heute ist sie sogar Lieblingsfeindin von Trump, das ist schon eine Weltkarriere. Hut ab. Ich meine das ernst, ihre Sachlichkeit ist schon genial. Bei Zeiten von Corona ist das ein großer Vorteil für Deutschland, denn hier sind keine Millionen Arbeitslose zu beklagen. Da ist er wieder, der Rheinische Kapitalismus, wie auch 2008. Was wird Merkel später einmal machen? Vielleicht für Facebook oder Google arbeiten?

Ich glaube, es gibt sie überhaupt nicht, die Lichtgestalten. Ich mache mir sogar Sorgen, dass alles nur eine Frage des Preises ist, dass mit genügend hohem Entgelt praktisch jeder käuflich ist. Es könnte sogar sein, dass die ehemaligen Führungskräfte der SPD dieser Sonderform der Bestechung besonders ausgesetzt sind. Damit kann man diese als Partei nämlich öffentlich perfekt vorführen. Schaut mal, wo deren Ethik bleibt! Das ist dann die Botschaft, die öffentlich herüberkommt. Die Diffamierung der Sozialpolitik wäre somit erfolgreich. Rote Socken V. 2.0. Die SPD in den einstelligen Prozentbereich führen. Interesse daran haben bestimmt viele.

Gibt es in der Politik überhaupt Ethik? Ich denke, es ist einfach ein großer Verteilungskampf, der da stattfindet. Es gibt dabei Gewinner und Verlierer. Leider. Wenn man sich in Deutschland auf den Rheinischen Kapitalismus, also die soziale Marktwirtschaft (was auch immer das genau ist) einigt, dann wäre das schon etwas. Das ist ein gesellschaftlicher Kompromiss, und mehr nicht.

Es ist für mich die Frage, wie jeder einzelne bei einem entsprechenden Angebot reagieren würde. Unser System ist insgesamt so, wie es ist. Sind wir selbst wirklich besser?

Danke an Harald Hensel für seine Ausführungen „Kinderaugen“. Sie haben mich zu diesem Text bewogen.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Albrecht Lang

    Ich möchte noch nachtragen, dass Sigmar Gabriel etwa 2015 bereits Ziel einer von rechten Bots getragenen Aktion war. Das besonders perfide war, dass ein symbolisierter Galgen grafisches Erkennungszeichen dieser Kampagne war. Als ein Verwandter von mir dies damals bei Facebook gelikt hat, habe ich ihn per Messenger um Klärung gebeten. Meine Frage war: „Du willst doch Christ sein, wie kannst Du so etwas gut finden?“ Er hat sich überhaupt nicht davon distanziert, was zur Folge hatte, dass ich ihn aus meiner Freundesliste entfernt habe. Das ist so, der verbal zugespitzte Kampf der A-Partei trennt Familien.
    Auch wenn Handeln von Politikern moralisch verwerflich erscheinen mag, sind wir dennoch nicht berechtigt, dies durch noch schlimmeres Unrecht wie eine Todesdrohung zu toppen. Heute wäre das vermutlich eine Straftat.

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