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Am Elend – Slums in Elberfeld

Tante Hanna Faust kämpfte gegen Armut, Elend und Gottlosigkeit!

Bei den Recherchen für die Blogartikel zu Johannes Seipp bin ich beinahe notgedrungen auf öffentlich zugängliche Dokumente zu einem früheren Elendsviertel in Wuppertal gestoßen. Markus Arndt schreibt 1999 in seiner Dissertation zum Zooviertel einen Abschnitt über das benachbarte „Elendstal“. Den benutze ich als Hauptquelle.

Hier ließen sich in der Frühindustrialisierung etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zahlreiche arbeitssuchende Migranten meist aus den östlichen Regionen des deutschen Reiches nieder. Mitten im Wald und ohne Rechtsgrundlage bauten die mittellosen Arbeiter und ihre Familien hier Hütten aus Holz und Lehm. Die Stadt nahm das zwar zur Kenntnis, unternahm aber im Hinblick auf die Lebensverhältnisse nichts. Das Birmingham Deutschlands!

Erst um 1868 begann die „Arbeiterin“ Hanna Faust, später auch Tante Hanna genannt, sich auf eigene Faust um die Bewohner zu kümmern, sie zu missionieren, Bibelstunden und eine „Sonntagsschule“ für die Kinder abzuhalten. Sie sammelte Spenden, und 1872 konnte dort eine Kapelle eröffnet werden. Später kam eine größere Versammlungshalle hinzu. Die Örtlichkeit im Elendstal war bald über Jahrzehnte ein regelmäßiger Treffpunkt bei den größeren Festen der Elberfelder Sonntagsschulen und vieler anderer lokaler christlicher Vereine, natürlich auch der evangelischen Gesellschaft.

Tante Hanna wurde so zu einer lokalen Größe, es gibt etliche Bilder auf Postkarten von ihr. Anders als Minna Knallenfalls – eine erfundene zeitgeschichtliche Person, an der das damalige Arbeiterschicksal literarisch dargestellt werden konnte – gab es sie wirklich. Vor ihrem Tod hat sie 1899 die Versammlungsgebäude der evangelischen Gesellschaft vermacht. 1961 wurden die Gebäude durch die EG wiedererrichtet. Sie fungierten danach auch als „Gedenkstätte Johanna Faust“.

Heute erinnert nur noch eine Bushaltestelle „Am Elend“ an diese alten Zeiten. Man mag das kaum glauben, wenn man den Ort und die vielen schicken Gründerzeitvillen im Zooviertel Wuppertal sieht. Auch das nahelegene Wohnensemble „Heimatplan“ von 1929 ist sehenswert!

Doch blicken wir zurück zu meinem Familienpropheten Johannes Seipp. Das Muster des Handelns war doch sehr ähnlich. Auch er sah sich als „Arbeiter“ der Evangelischen Gesellschaft, und die erreichten Veränderungen waren ähnlich. Allerdings fand das Wirken von Johannes Seipp in einem dörflichen Umfeld in Großrechtenbach in Hessen statt, in dem die materielle Armut und soziales Elend nach meiner Kenntnis eine deutlich geringere Rolle spielten.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. alrsl

    Jetzt habe ich sogar eine Biografie von Hanna Faust vorliegen, ein echtes Erbauungsbuch. Es ist schon erstaunlich, was diese Frau im 19. Jahrhundert bewegt hat. Ohne Zweifel muss sie eine charismatische Person gewesen sein. Meiner Mutter hätte das Buch bestimmt sehr gut gefallen, wo sie doch ein Faible für Frauen-Biografien hatte. Einschränkend ist zu sagen, dass alles seine Zeit hat. Friedhelm F. hat mich zu Recht darauf hingewiesen, dass wir im heute und jetzt leben. Die evangelische Gesellschaft Wuppertal nennt auch nicht mal mehr den Namen auf der Homepage. Alles ist vergänglich, auch gute Taten.
    Auf die Weiterentwicklung des Elendstales bis heute geht das Buch natürlich nicht ein.

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