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Hofnarr Clasen, Nach Hanns Lautensack, Public domain, via Wikimedia Commons

Volunteer’s Folly

Helfersyndrom? Lukrativer Job? Bühne für’s Ego?

Kaum bin ich ein halbes Jahr in Ruhestand – natürlich mit frischem Fortbildungs-Zertifikat der Ärztekammer Nordrhein – und schon denke ich wieder darüber nach, bei den aktuellen Corona-Aktionen mitzuwirken. Auch hatte ich die Eingebung, mich schon wieder für eine Online-Fortbildung anmelden zu müssen. Für lächerliche 25 Euro! Allerdings in der Endoskopie. Nichts mit Corona.

Und ich habe vorher natürlich schon länger überlegt, ärztliche Online-Beratung anzubieten, über einen professionellen Anbieter, das versteht sich! Nicht selbst mit der Logistik abzappeln. Ärztliche Tätigkeit von zu Hause aus. Immerhin 40 Jahre Berufserfahrung habe ich ja. Aber ist virtuelles Arztsein realistisch für mich? Ich war schließlich spezialisierter Endoskopiker.

Was bewegt mich eigentlich? Ist es leider nur wieder das verkappte Helfersyndrom aus meiner christlichen Jugend? Oder hat es mit dem männlichen Rollenverhalten zu tun? Als Mann hat man sich schließlich über den Beruf zu definieren. Oder doch nicht? Gibt es vielleicht noch mehr? Das Leben ist schließlich viel bunter, als nur der erlernte Beruf.


Wie verhalten sich Bekannte und Freunde? Ich kenne mehrere Kollegen, die nach ihrer beruflich aktiven Zeit in medizinisch-sozialen Projekten engagieren. Es gibt dabei sogar selbst finanzierte private Projekte analog der staatlichen Entwicklungshilfe. So ein Projekt trägt dann schon mal den Eigennamen des Spenders. Ob das im Sinne der Sache selbst ist, bleibt mir verborgen.

Der „allwissende“ Herr Dobelli hat sich in seinem Brevier „Die Kunst des klugen Handelns“ zu dem Aspekt Volunteer’s Folly geäußert. Zusammengefasst meint er, Freiwilligenarbeit sei nur etwas für wirkliche Stars. Sie würden einer guten Sache mediales Gewicht verleihen. Demgegenüber sei so etwas, durch Normalos durchgeführt, nicht kosteneffizient. Die Eigenfinanzierung eines sozialen Einzelprojektes sei Geldverschwendung im Vergleich zu einer Spende an Profis, eine Organisation. Anderenfalls sei eine ehrenamtliche Tätigkeit sonst nur gelegentlich sinnvoll, wenn dabei die ureigene Profession, die Spezialisierung eingebracht werden könne.

By the way, da fällt mir gerade ein, dass Ärzte ohne Grenzen und Greenpeace schon mehr als einmal recht dreist versucht haben, mir eine testamentarische Spende an diese Institutionen aufzuschwatzen bzw. abzuluchsen. Ich habe geantwortet, das sei mir nun aber zu viel. Handelt es sich hier etwa um die katholische Kirche? Geht es denn um das Seelenheil? Ist das etwa Ablasshandel?


Doch zurück zu den im mittleren Rentenalter wegen Aspekten der Corona-Pandemie noch tätigen Kolleginnen und Kollegen. Anfangs habe ich gedacht, dass sie ehrenamtlich, also uneigennützig tätig seien. Der lange berentete Kollege mehrfach in voller Verkleidung mit Face-Shield beim Rachenabstrich für den Corona-Schnelltest in der lokalen Zeitung abgelichtet! Donnerwetter, was für ein Einsatz! Dachte ich. Vollkommen naiv.

Doch nachdem nun darüber mehrfach in den Medien berichtet wurde, ist mir klargeworden, dass es sich hier nicht um Altruismus handelt. Diese Tätigkeit wird nämlich ganz gut honoriert. In Hessen wurde über einen ärztlichen Stundensatz von 100 Euro für Rachenabstriche im Testzentrum berichtet. Und bis zu 200 Euro pro Stunde für Impfärzte in Köln wurden genannt. Das hat nichts mehr mit Ehrenamt zu tun, das entspricht der Vergütung eines Honorararztes, bei den Impfärzten doppelt soviel.

Damit wäre das mit dem Helfersyndrom und dem Altruismus schon erledigt. Von finanziellen Aspekten abgesehen dienen somit die Bilder in der Zeitung, mit Namensnennung natürlich, eher der Selbstdarstellung. Und das bei einem ordentlichen Infektionsrisiko für den älteren Herren. Warum nimmt er das auf sich? Oder will er früher geimpft werden? Braucht er das Geld? Kann ja sein! Ein Vorbild ist er somit jedenfalls nicht, eher im Gegenteil. Er gehört schließlich einer Personengruppe mit erhöhtem Risiko für eine schwere COVID-19-Erkrankung an.

Ich bin schließlich in den Ruhestand gegangen, weil ich der Meinung war, dass ich genug glühende Kohlen für Andere aus dem Feuer geholt habe. Und der eigene Körper sendet einem zunächst selten, dann aber häufiger Signale, die auf die eigene Endlichkeit hinweisen. Ich will aber hier nicht jammern, bin auch fit. Es ist mir zuletzt auch gelungen, meine wirtschaftliche Situation trotz hoher Verpflichtungen zu klären. Nennt das ruhig hedonistisch, ist es aber bestimmt nicht nur. Vielleicht eher realistisch.


Die Frage, die sich mir nun stellt, ist, ob ich mit einer Tätigkeit um Corona wie ein gut bezahlter Honorararzt weiterarbeiten soll oder nicht. Und diese Entscheidung habe ich bereits vor einem Jahr getroffen: Nein. Es sei denn, es träte eine öffentliche Notlage ein, oder mein Einsatz würde zu einer Beschleunigung der Durchimpfung beitragen.

P. s. Wenn sich Jemand angesprochen fühlen sollte, und ihn der Text stört, dann möge er mir das mit dem Kontaktformular konkret mitteilen.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Ingrid Ho

    Helfen macht high, hast du das noch nicht gewusst?
    Ich hab das in unserer Flüchtlingshelfergruppe beobachtet: Leute, die sich noch nie irgendwo engagiert hatten und auch religiös nicht gebunden sind, wurden auf einmal richtige Junkies.
    Ein gelungenes Geschenk macht den Schenkenden glücklicher als den Beschenkten. Kann man bestimmt psychologisch oder neurophysiologisch begründen.
    Wenns anders wäre, wärs auch kein Geschenk, sondern ein Geschäft. Oder was Schlimmeres.

    1. alrsl

      Danke, liebe Ingrid, für Dein Statement. Dass Helfen Glücksgefühle beim Helfer hervorruft, kann ich mir gut vorstellen. Ohne die Freiwilligen wäre unsere Gesellschaft viel ärmer! Die Diskussion, ob es Altruismus überhaupt gibt, ist sicher lohnenswert aber mehr philosophisch zu sehen. Den Effekt, den ich in der Gruppe der altgedienten Ärzte beschrieben hatte, nennt man auch Matthäus-Effekt. Wer hat, dem wird gegeben, so kann man den verkürzt und sinnentstellend beschreiben. Oder: Wer bekannt ist, kriegt die Anerkennung für seine soziale Tat, und auch noch ordentlich Geld dazu. So dürfte es den normalen Freiwilligen aber nicht gehen. Eher wenig Ehre und wenig Lohn.

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