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Kriegsdienstverweigerung – Gewissensprüfungen 1970/71

Erst durchgefallen, dann anerkannt!

Meine Musterung war am 26.1.1970. Mein Freund und ich sind damals mit dem roten 2 CV Typ Wellblechbaracke und der Power von sagenhaften 15 Pferdestärken dorthin gefahren. Ich sei tauglich, Ersatzreserve I, was auch immer das bedeutete. Hey, ich bin nicht besonders groß, laut Personalausweis 174 cm, damals vielleicht 62 kg schwer, und definitiv keine Sportskanone. Merkwürdig fand ich damals, dass viele Supersportler angeblich wehruntauglich waren.

Am 26.5.1970 war meine erste Verhandlung. Dabei kam ich mir sehr komisch vor, beängstigend, wie vor einem Gericht, als ob ich ein Verbrecher wäre. Auf der anderen Seite saßen nur ältere Männer, alle sehr wichtig wirkend. Einer davon war Laborleiter Meinert, den ich später anlässlich eines Ferienjobs bei Leitz kennenlernen sollte. Der war ein Bekannter meines Vaters.

Soweit ich mich noch erinnern kann, war die Verhandlung recht schnell fertig. Das Gericht stellte mir kaum Fragen, und schon war ich durchgefallen. Nach der späteren schriftlichen Begründung wurde mir eine Gewissensentscheidung – was auch immer sein sollte – abgesprochen. Ich hätte nur rational argumentiert. Außerdem hätte ich mehr spontan, also ungefragt zum Dilemma der staatlichen Gewaltausübung sagen sollen.

In diesem Jahr gab es 20.000 Kriegsdienstverweigerer in Deutschland, mehr als die Hälfte sind in der ersten Runde durchgefallen. Der typische KDVler war schon damals Abiturient oder Student.

Link zum Bescheid der ersten KDV-Verhandlung als PDF

Zum Wintersemester 1970 habe ich mein Medizinstudium in Gießen begonnen. Die zweite Verhandlung fand am 5.1.1971 in Gießen statt. Meiner Erinnerung nach war ich nun viel besser vorbereitet. Auch hatte ich den Beauftragten der ev. Kirche Wetzlar, Pfarrer Preis mitgebracht. Die Verhandlung war nach meinem Dafürhalten diesmal fairer, jedenfalls hat man mich angehört und meine verschiedenen Erfahrungen gewürdigt.

Insbesondere war das hohe Gericht offensichtlich davon beeindruckt, dass ich mich trotz ausgeprägter technischer Neigungen zum Medizinstudium entschlossen hatte. Auch scheint sie beeindruckt zu haben, dass ich mich in der Verhandlung zum offensichtlichen Widerspruch zwischen Wissenschaft und Glaube geäußert habe, schon damals. Es wird formuliert, ich sei ernsthaft der Frage nachgegangen, inwieweit sich der überkommene Glaube mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften, denen ich mich innerlich ebenfalls verbunden fühle, vereinbaren ließe.

Das wurde – trotz einiger verbaler Diskriminierungen im Text, ich war schließlich „Angeklagter“ – unter anderem als Argument dafür benutzt, mir diesmal Gewissensgründe zu bescheinigen. Na gut, also recht religiös war damals meine Begründung schon. Wobei die politisch-ethische Argumentation auch damals schon naheliegend gewesen wäre. Die Schrecken des Zweiten Weltkrieges mit Abermillionen von Toten waren damals ja noch in direkter Erinnerung.

Link zum Bescheid der zweiten KDV-Verhandlung als PDF

Wie ging es danach weiter? Nun, ich habe nach dem Sommersemester 1971 das Vorphysikum abgelegt. Danach erfolgte die Einberufung zum Zivildienst für 15 Monate, 3 Monate länger als der Wehrdienst. Das stellte eine staatlich gewollte Benachteiligung dar, denn als angehender Soldat wäre ich niemals während des Studiums eingezogen worden. Ob das die letzte Benachteiligung war, ist die Frage. Man wurde damals als Drückeberger herabgewürdigt.

Ich habe bei allen Bewerbungen im Laufe meines Berufslebens immer auf meine Zivildienstzeit hingewiesen. Und immer auch auf meine 3 Perioden der Tätigkeit im Betriebsrat. Ob das jeweils zu meinem Vorteil war? Gut, meine Cousins in der ehemaligen DDR haben sicher stärkere Nachteile durch ihre Verweigerung gehabt. Denen wurde der Zugang zu akademischen Berufen verwehrt.


Als dann die Verweigerung und der Zivildienst zum gesellschaftlichen Trend wurden, hat man wegen des großen formalen Aufwandes die Verhandlungen aufgegeben und beinahe eine Wahlfreiheit herbeigeführt. Das kam nun einem Grundrecht auf Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe schon recht nahe. Probleme mit der fehlenden Wehrgerechtigkeit bei sinkendem Bedarf von Soldaten führten 2011 zum Ende der allgemeinen Wehrpflicht.

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