Offene Briefe an Scholz

Elitäre Distanzierung, mehr nicht.

Jetzt hat mir ein Freund auch einen Link geschickt. Es geht da um die meine elektronische Unterschrift unter einen offenen Brief von Intellektuellen gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Ich musste erstmal eine Weile nachdenken. Offene Briefe an Kanzler Scholz. Aber ist er eigentlich der richtige Adressat?

Inzwischen gibt es drei solcher offener Briefe. Wir lassen den vom Postillon mal weg, der diese Hybris von Prominenten natürlich durch den Kakao zieht. Er solle einfach immer mit einem lustigen Hütchen auftreten, lautet der satirische offene Brief. Das sei er den Bürgern in solch schwierigen Zeiten schuldig. Einfach gute Laune verbreiten. Das sei wichtig. Recht hat Der Postillon!

Aber die anderen Briefe, die haben es in sich. Mal soll Scholz keine schweren Waffen an die Ukraine liefern, mal soll er das gerade tun. Die Autoren eint zumeist die Angst vor einem Atomkrieg. Wenn man keine Waffen liefert, würde das Putin besänftigen, und er würde hoffentlich auf einen Atomschlag verzichten. Hey, was soll das denn? Warum sollte er das tun?

Nun mal ehrlich, wer, glauben die Leute, diese Intellektuellen denn, wer sie eigentlich sind! Voll überschäumender Weisheit, oder was? Glauben die ehrlich, dass sich ein derartig verirrter Diktator durch solche Maßnahmen beeindrucken lassen würde? Gar auf den Atomkrieg verzichten?

Was glauben die sogenannten Intellektuellen denn, wer Scholz ist! Ein autokratischer Herrscher über eine militärisch hochgerüstete und wirtschaftlich superstarke Weltmacht etwa? Vor dem alle kuschen? Ist Deutschland denn wirklich so bedeutsam? Wo doch wirklich wichtige Entscheidungen in den USA oder in China getroffen werden. Basta.

Noch etwas: Warum werden diese Briefe eigentlich nur an Scholz geschrieben? Warum nicht gleichzeitig oder in erster Linie an Wladimir Putin, in zweiter Linie an Xi Jinping und Joe Biden, und in dritter Linie an Volodymyr Selenskyj. Da müsste richtig nachgedacht und ausformuliert werden. Und man findet sich eventuell auf einer Liste von Putins Leuten wieder.

Ich glaube, ich weiß, warum die Briefe an Olaf Scholz geschrieben werden: Weil ein Brief an den nichts kostet, überhaupt nichts, rein gar nichts. Der ist ja bekanntermaßen ein Stiller. Auch ist die Aktion in keiner Weise gefährlich. Man steht aber in seiner Hybris einfach gut da. Man hat es ihm schließlich gesagt, wenn alles schiefgehen sollte. Ihm, dem Übermenschen. Oder was ist das für einer?

Die Täter-Opfer-Umkehr in den Briefen ist schon krass. Selenskyj solle einfach kapitulieren. Was das für Folgen haben könnte für das zukünftige Verhalten von Putin, wird einfach ausgeblendet. Kolumnist Sascha Lobo erinnert an die unsägliche Fehleinschätzung Hitlers durch Gandhi im Hinblick auf den nahenden Holocaust. Ein lesenswerter Artikel!

Ich glaube dennoch nicht, dass der Pazifismus als solcher wirklich tot ist. Ich denke aber, dass der zunächst mal eine individuelle Entscheidung zum Gewaltverzicht ist. Die ist ohne Zweifel moralisch nicht suspekt. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass selbst der simple Gewaltverzicht im Alltag vergleichsweise oft an Grenzen stößt. Mit den Themen Kinder, Familie, Partnerschaft, Arbeitsplatz, Nachbarn, Mobilität und Klima bin ich bereits vollkommen ausgelastet.

Ich halte den Pazifismus eher für einen persönlichen Imperativ, für eine tägliche schwierige Aufgabe. Und nicht für ein Element persönlicher Vollkommenheit, also elitärer Perfektion. So gesehen wäre etwas Bescheidenheit hilfreicher als plakative Äußerungen und offene Briefe, die extrem schwierige Probleme auf andere abladen.

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