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PSA - Aspekte beim Screening

PSA-Screening zur Vorsorge gegen Prostatakarzinom

Die immerwährende Kontroverse um den PSA-Wert

Warum eigentlich sollte Mann sich mit dem unangenehmen Thema Vorsorge beschäftigen, und dann auch noch mit dem PSA-Screening zur Vorsorge gegen Prostatakarzinom? Wo doch bestimmt schon alles geschrieben und gesagt worden ist! Der sogenannte PSA-Test hat sich durchgesetzt, obwohl er keine Kassenleistung ist. Es gibt kein Land der Welt, in dem er als Vorsorgemaßnahme gegen Prostatakarzinom anerkannt ist. Warum eigentlich ist das so?

Disclaimer

Ich schreibe diesen Text als potenziell Betroffener.
Meine persönliche Prägung geht also mit ein.

Hier wird ausdrücklich keine medizinische Beratung geboten.
Fragen Sie bitte Ihre Ärzte!


Wie häufig sind Prostatakarzinome überhaupt? Nun, dazu gibt es eine große zusammenfassende Autopsiestudie von 2015, die eine stark altersabhängige Erkrankungshäufigkeit zeigt. Selbst im Alter unter 30 Jahren sind sie in 6 % zu finden. Im höheren Alter ab 80 Jahren beträgt der Anteil ca. 60 % der Fälle. Die große Häufigkeit weist auf das Problem. Die Mehrzahl der betroffenen Männer hat offensichtlich nicht signifikante Tumoren. Sie sterben mit dem Prostatakarzinom, nicht daran.

Häufigkeit Prostatakarzinom nach Lebensalter aus internationalen Autopsiestudien.
Solide Linie – altersadjustiert
aus Bell, K. et al., Int. J. Cancer: 137, 1749–1757 (2015) frei zugänglich

Würden alle, auch die nicht signifikanten Prostatakarzinome behandelt, wäre eine massive Übertherapie die Folge. Es würden gigantische Kosten entstehen und großer Schaden angerichtet, besonders bei den Männern, die nie Beschwerden durch ihr Prostatakarzinom gehabt hätten. Das Prostata-Ca als Todesursache ist nämlich vergleichsweise selten. Die kardiovaskuläre Mortalität führt mit weitem Abstand.


Ich hatte mich vor etwa 12 Jahren eigentlich gegen das PSA-Screening entschieden. Mein Hausarzt hat den Wert aber trotzdem bestimmt. Er lag über 4 ng/ml, dem meist verwandten Grenzwert. Die Folge waren ein neuer Test nach 2-wöchiger Levofloxacin-Therapie, eine Vorstellung bei einem prominenten Urologen, eine endorektale Sonographie der Prostata und ein paar Sorgen. Das Aufklärungsformular zur Stanzbiopsie hatte ich bereits in der Hand, habe es aber nicht unterzeichnet.

Seitdem wird jährlich der PSA-Wert untersucht, als freies und Gesamt-PSA samt dem zugehörigen Quotienten. Der Wert für PSA gesamt ist über die Jahre rückläufig, der Quotient nicht wegweisend. Nun bin ich 70 Jahre alt.

Deswegen gilt für mich keine Screening-Empfehlung mehr. Obwohl ich vermutlich aufgrund meines Alters und meines PSA-Wertes mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 % ein hoffentlich nicht signifikantes Prostatakarzinom habe. Das ist ein Gedanke, der akzeptiert werden muss.


Zunächst machen wir einen kleinen Ausflug in die Medizingeschichte. Schon unser urologischer Ordinarius in Gießen, Professor Rothauge, ging bereits 1978 mit der unkritischen Vorsorge bei Prostatakarzinom hart ins Gericht. Gemeint ist die fehlende Nutzen/Risiko-Abwägung bei der Vorsorge.

Mach aus dem Haustier kein Raubtier! So sagte der kämpferische, meist exzentrische Chirurg Julius Hackethal schon 1978 in einem Spiegel-Interview. Oder hier, noch viel mehr zu seiner Person, dem Kämpfer für Gerechtigkeit: Ich lasse keinen Arzt ran!

Natürlich war er eine schillernde Persönlichkeit, der sich in seinem enormen Eifer gegen Fehler der Schulmedizin letztlich selbst der Scharlatanerie zugewandt hat. Also Hoffnung auf Heilung wecken, wo aber nur eigene pekuniäre Interessen im Vordergrund stehen. Das galt zuletzt auch für ihn selbst.

Die mir etwas suspekte Website DocCheck schreibt, dass Hackethal an den Lungenmetastasen seines nicht behandelten Prostatakarzinomes gestorben sei. Weitere Quellenangaben nennen aber Lungenkrebs als seine Todesursache, so WDR Stichtag und WDR Zeitzeichen.


Wir sehen also, dass die Kontroverse nicht neu ist. Etwa ab dem Jahr 2000 flammte sie auch international wieder auf. In Deutschland gipfelte die Diskussion zunächst in der Stellungnahme des IQWiG, das halbstaatliche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, mit dem Statement von 2020: „Das Prostatakarzinomscreening mittels PSA-Test schadet deutlich mehr Männern durch Überdiagnosen, als es Männern nutzt. Daher wird zusammenfassend festgestellt, dass der Nutzen des Prostatakarzinomscreenings mittels PSA-Test den Schaden nicht aufwiegt.“

Die deutsche Gesellschaft für Urologie stellte 2021 ein 15-seitiges Dokument für die Patienteninformation zur Verfügung. Diese Materie ist somit offensichtlich komplex. In der Patienteninformation befindet sich die Fachgesellschaft zumeist im Verteidigungsmodus ihres Vorgehens. Die Aussagen sind teilweise widersprüchlich. Sollen über 70-Jährige nun gescreent werden oder nicht?

Die umfassende S3-Leitlinie Prostatakarzinom bei der AWMF von 2021 hat 365 Seiten und beinhaltet 1061 Literaturzitate. Das ist keine leichte Kost. Da mache ich mir nichts vor. Ich denke aber, das IQWiG bietet in seinen Veröffentlichungen eine Interpretationshilfe. Natürlich folgte darauf eine vielfältige Reaktion der Spezialisten. Das sei alles nur falsch gedeutet. Aber die Diskussion um Überdiagnostik und Übertherapie hat die Leitlinie dennoch erreicht. Sie thematisiert das Problem und bietet Empfehlungen.


Die Abschwächung der Hauptaussage des IQWiG erfolgt in bewährter Weise: Wenn man sich nur an bestimmte zusätzliche Dinge, wie Alter, PSA-Subtypen, PSA-Kinetik, PSA-Dichte, sonstige PSA-Indizes, bestimmte genetische Situationen, MP-Kernspin oder gar PSMA-PET-CT, hoch spezialisierte Biopsieverfahren oder histologische Auswertungen halten würde, dann sei der Nutzen des Screenings gegeben.

Es mag sein, dass in geübter Hand Spezialverfahren hilfreich sind. Aber in der Fläche, also als typische Screeningverfahren, sind diese Spezialmethoden einfach nicht evaluiert. Egal, wie man das dreht und wendet. Es gibt einfach kein Screeningverfahren, das die metastasierenden, also wirklich bösartigen Prostatakarzinome früh genug finden würde, diese von langsam wachsenden und begrenzten trennscharf unterscheiden könnte. Und das ohne den Preis einer großen Überdiagnostik.

Eine Prostatektomie ist selbst in gewebeschonender Technik immerhin ein verstümmelnder Eingriff, der die Risiken Impotenz und Harninkontinenz beinhaltet. Kastration und Antihormontherapie sind keine harmlosen Maßnahmen, die man nebenbei mal so machen kann. Für die Betroffenen ist danach nichts mehr, wie es vorher war.

Somit ist auch die psychische und soziale Beeinträchtigung von Männern durch diese Eingriffe enorm. Der operative Eingriff erhöht zumindest kurzfristig die Risiken für Suizid und kardiovaskuläre Ereignisse. Wenn es dann eigentlich nur um ein begrenztes Karzinom geht, wäre ein unverhältnismäßiges Risiko gegeben.

In Großbritannien gibt es für das PSA-Screening zur Vorsorge gegen Prostatakarzinom wie auch in den USA keine allgemeine Empfehlung. Die medizinischen Texte dazu sind dort wie hier allerdings zahlreich und umfangreich.


„PSA sollte keinesfalls genutzt werden, um alle Männer über 50 regelmäßig zu testen, wie es jene wollen, die wahrscheinlich davon profitieren“, sagte der Entdecker des PSA.
Und weiter: „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass meine Entdeckung vor 40 Jahren in eine derartige profitgetriebene Katastrophe für das Gesundheitswesen führen würde. Die Medizin sollte sich der Realität stellen und den unangemessenen Einsatz von PSA-Tests stoppen. Das würde Milliarden Dollar sparen und Millionen Männer vor unnötigen und beeinträchtigenden Behandlungen bewahren.“

Richard Ablin 2010 in einem Interview der NY Times. (Laut Wikipedia)


Gesundheit ist vermutlich nur eine Illusion!



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