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Von Helicobacter bis The noisy guts project

Es war damals 1988, als wir mit dem Team unserer Klinik in Kronberg/Ts. zu Gast waren. Eine Pharmafirma hatte in gehobenes Ambiente eingeladen. Die Chefin der Marketing-Abteilung war selbst anwesend, vom Look her erinnerte sie an Kleopatra. Mein Chef war einer der Chairmen der Veranstaltung, darauf hatte er sich schon seit Wochen vorbereitet. Sogar mit einem Konversationstraining für gutes Englisch! Warum der ganze Aufwand? Der Grund war einfach: Als Gäste der damaligen Fan-Veranstaltung für Helicobacter pylori (damals noch Campylobacter pylori genannt) waren wir stolz darauf, berühmte Leute erleben zu dürfen. Helicobacter imponierte als wissenschaftlicher und finanzieller Goldesel! Ein Glücksfall! Als wichtigster Redner stand sogar Barry Marshall auf dem Programm! Von Helicobacter bis „The noisy guts project“, was ist gemeint?

Sie könnten jetzt fragen: Barry Marshall – who? Sie sollten ihn aber kennen. Er war und ist nämlich ein Held der Medizin, damals wie auch heute. Erkannt hatten das zu dieser Zeit erst wenige Gläubige. Denn der Mikrobiologe und Gastroenterologe hatte zusammen mit dem Pathologen Robin Warren etwa seit 1980 die medizinische Forschung entscheidend weiter gebracht. Sie waren die Ersten, die ein gekrümmtes Bakterium in der Magenschleimhaut als wesentliche Ursache für Magenschleimhautentzündung, Geschwüre und – wie wir heute wissen – auch Magenkrebs erkannt hatten. Sie konnten das Bakterium nachweisen, kultivieren, und im heroischen Selbstversuch die Auslösung einer schlimmen akuten Magenschleimhautentzündung beweisen. Da waren sie wieder – die Koch’schen Postulate! Und das Ganze völlig gegen den Mainstream der damaligen Medizin. Dafür sollten sie 2005 den Nobelpreis erhalten. Den hatten sie verdient, finde ich. Und wir waren damals am Puls der Zeit!

Zurück zur elitären Veranstaltung in Kronberg. Nun sollte Barry Marshall auftreten, directly from Frankfurt Airport, nicht ganz ausgeschlafen, aber gut drauf. Sein Manuskript für die Rede vor den Fans war noch nicht ganz fertig, weshalb er der Einfachheit halber dem geneigten Publikum seine Urlaubsbilder aus Australien zeigte! Applaus dafür! Die Fakten waren ja sowieso bekannt!

Da die Sache mit dem Helicobacter inzwischen schon Allgemeingut ist, will ich hier nicht viel weiter ausholen. Diskutieren kann man heute kaum noch über das „ob“ der Behandlung des Magenbakteriums, sondern allenfalls über das „wie“. Wir würden schließlich fast alle Patienten mit positivem Nachweis von H. p. behandeln. Soll man die Wismut-haltige-Quadrupel-Therapie als Basistherapie verschreiben? Macht das Italian-Triple-Schema wegen der Metronidazol-Resistenz und der Nebenwirkungen des alten Antibiotikums noch Sinn bei der geringen Ansprechrate? Sollen alle Therapieschemata statt über 7 Tage besser über 10 bis 14 Tage gegeben werden? Viele Fragen….

Noch ein Wort zur Semantik: Mir ist nur noch ein weiterer Zustand in der Medizin bekannt, bei der das Wort Eradikation verwandt wird, nämlich bei der MRSA-Besiedlung. Nach meiner Kenntnis hat sich dieser Begriff dort erst viel später eingebürgert. Unter Eradikation versteht man bei MRSA eine Dekolonisation, nicht die Behandlung einer Krankheit. Ansonsten sehe ich in dem Begriff „Eradikation“ immer noch eine dramatische begriffliche Überhöhung, die bei sämtlichen sonstigen Therapien unüblich ist. Bei Helicobacter pylori war dies von Anfang an so. Einfach stark!

Die Sache mit dem Helicobacter war eine wirklich gute Idee der beiden Australier. Der Nobelpreis war die berechtigte Belohnung dafür. Aber wie sollte es weiter gehen? Kann man so eine Erkenntnis noch übertreffen?

Da hat sich Barry Marshall nun etwas Neues ausgedacht! Nach Helicobacter pylori jetzt „The Noisy guts project!“ Er hatte erkannt, dass das Reizdarmsyndrom eine weitgehend ungeklärte Erkrankung darstellt, die noch dazu – je nach Definition – bei bis zu einem Viertel aller Menschen der modernen Welt vorliegt! Der Darm stellt somit – wie in alter Zeit – immer noch ein Mysterium dar. Es lag somit nahe, sich mit einem neuen diagnostischen Verfahren zu beschäftigen, einem Rekorder für die Sprache des Darmes. Lerne, die Sprache des Bauches zu verstehen! Was wollte uns das Intestinum mit dieser eindrucksvollen Klangfolge mitteilen? Da bin ich aber mal gespannt, welche therapeutischen Verfahren noch folgen, sich daraus herleiten lassen.

Spaß beiseite!

Hier der Link zur Konsultationsfassung der neuen S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom. Die hat 220 Seiten. Ob das ein gutes Zeichen ist? Ich werde später versuchen, wirkliche Neuigkeiten daraus zu extrahieren.

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