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Priorisierung bei der Corona-Impfung

Warum nicht die Jungen zuerst impfen?

Der letzte Mailwechsel mit T., meinem Mail-Counterpart, hat es in sich. Sein Enkel, der ihn versorgt (!!!), hat mehrfach geäußert, es sei ihm überhaupt nicht verständlich, warum nicht die Jungen zuerst gegen Corona geimpft würden. Diese hätten ja noch das ganze Leben vor sich. Sie würden so ihrer Zukunft beraubt.

Der zu erwartende Nutzen sei doch viel höher als bei den Alten. Und außerdem hätten die Alten doch ihr Leben schon gelebt. Sie würden nun auch noch ihre finanzielle Stärke einsetzen, um zuerst dranzukommen. T. empfand eine argumentative Schwäche, dem Enkel fundierte Argumente entgegenzusetzen.

Nun war ich dran, mir darüber mal Gedanken zu machen. Ich war als Arzt schließlich häufig für die Alten und Schwachen tätig. Hier folgt meine Antwort:


Aber jetzt zurück zu Deinem Enkel, der Dir doch großen „Respekt vor dem Alter“ erweist. Er hat das ja infrage gestellt. Aber warum tut er das? Gibt er etwa den Advocatus Diaboli? Ich musste vor meiner Antwort erst einmal darüber nachdenken, denn man ist sofort im Grundsätzlichen, in der Ethik, in der Philosophie, in der Geschichte, in der Politik.

Ich habe herum gelesen, und kam schnell zu Artikel 2 Absatz 2 unseres Grundgesetzes „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“. Dieser Artikel wurde damals eingedenk des Umgangs der Nazis mit Behinderten, Kranken, Schwachen, also der Euthanasie eingeführt. Alle die die Allgemeinheit lediglich belasten konnten, waren somit bekanntermaßen zur Tötung freigegeben, und das wurde auch umgesetzt. Wir sind ja schließlich in Deutschland. Das mochte man in der jungen Bundesrepublik auf keinen Fall nochmal erleben.

Ich habe ja am 29.4.21 die Ärztekammerfortbildung NRW zur den Folgen der Verfassungswidrigkeit des § 217 STGB angehört. Ein gerade pensionierter Verfassungsrechtler, ein Strafrechtler (auch Mitglied des Ethikrates) sowie eine prominente Suizidologin, eine Professorin aus Köln sprachen. Natürlich war auch der Rudolf Henke aus Berlin zugeschaltet, ein Ärzte-Lobbyist. Das Verfassungsgericht hatte ja auf die Selbstbestimmtheit des Einzelnen abgehoben, die auch den Tod, das Sterben mit einschließt.

Übereinstimmend bestand die Sorge, dass es bei der Freigabe des assistierten Suizides oder häufiger der Tötung auf Verlangen zu einer besorgniserregenden Situation kommen könnte: Nämlich das die eingeforderte Freiheit der Entscheidung dazu von einem Erwartungsdruck der Öffentlichkeit überlagert werden könnte. Einer Art Druck, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, wenn es schwierig wird. Oder aus sonstigen Gründen. Da hätten wir sie durch die Hintertür wieder, die Euthanasie! Ich sehe schon die Erbschleicher auf dem Plan!

Mir klingt da noch ein Bericht über die Niederlande vor Jahren in den Ohren. Spricht der Enkel zum krebskranken Verwandten: „Opa, du lebst ja noch!“ Das spiegelte damals schon die Erwartungshaltung wider.


Von www.statista.com am 1.5.2021

Doch zurück zu den Fakten um COVID-19. Hier sieht man einen Screenshot zu Todeszahlen durch COVID-19 in Deutschland in 2021. Kurz ausgedrückt, sind die Jungen durch COVID-19 praktisch überhaupt nicht gefährdet. Warum also die zuerst impfen? Gerade auch unter dem Eindruck des Chaos der coronabedingten Massensterblichkeit unter den Alten in Bergamo hat man die gegenwärtige Priorisierung bei der Impfung gewählt. Nämlich die Alten und Schwachen zuerst!

Die gegenwärtige Laber-Politik möchte die Priorisierung schon wieder aufheben, was ich für falsch halte. Denn dann laufen die Jungen, die Starken oder gut vernetzten sofort zur Impfung, obwohl die gefährdeten Gruppen nicht mal durchgeimpft sind. Wir haben in der Gesellschaft auch ganze Bevölkerungsgruppen, die ohne Altersabhängigkeit gefährdet sind. Z. B. wer in einem sozialen Brennpunkt lebt, wer ein prekäres Beschäftigungsverhältnis hat und mehr.

In unserer Gesellschaft gilt ja zumindest offiziell keine Ethik eines Sozialdarwinismus. Der Stärkere setzt sich durch, der Schwache soll kuschen, die Alten sollen doch sterben, „lebensunwertes Leben“, „Recht ist, was dem Volk nützt“, „den Gnadenschuss geben“, „Jedem das Seine“ – all das geht so nicht in unserer Gesellschaft. Zurecht!

Fällt Dir noch ein besseres Wort für Sozialdarwinismus ein? Denn bei Darwin ging es um die Evolution, also um etwas nach vorne Gerichtetes.

Dass die Jungen durch Corona schwer eingeschränkt würden, kann ich so nicht glauben. Klar, gemeinsamer Konsum von Alkohol und Drogen in der Großraumdisco geht derzeit nicht. Aber wir haben ja heute die sozialen Medien, die Möglichkeiten, sich online fortzubilden, zu studieren, ja sogar online einen gut bezahlten Beruf auszuüben. Über Kontinente hinweg! Ich finde, die jungen Leute könnten ja auch mal selbst etwas erfinderisch sein. Die Phase der Einengung geht nun durch die Impfung bald vorüber. Den Untergang einer kompletten Lebensperspektive zu konstatieren, halte ich für übertrieben.

Ich sehe meine beiden Söhne, auch die beiden Söhne von Christa und kann keinesfalls so etwas feststellen. M., Sohn von Christa, ein Medieninformatiker, sagte gestern: „Wieso Einschränkung durch Corona? Ich merke gar nichts davon.“ Hat zwei kleine Kinder, Familienstress, ständig im Homeoffice.

Wir Menschen haben schließlich diverse Strategien, aus belastenden Situationen das Beste zu machen. Coping ist wichtig, die Resilienz zu stärken, neue Wege zu gehen. Nur wer auf der Stelle bleibt, beim Althergebrachten, der wird unglücklich. Oder haben sich in echten Krisenzeiten wie am Ende des 2. Weltkrieges die Menschen vielleicht massenhaft selbst umgebracht? Hatten vielleicht alle schwere Depressionen? Nein – im Gegenteil! Ein großer Aufbruch fand statt.

Und ich schreibe meinen Blog, mache Musik, wandere, wir beide mailen uns zu komplizierten Themen, obwohl wir uns kaum kennen. Nicht nur Oldies tanzen virtuell Tango, die sozialen Medien kriegen endlich Bedeutung über Hate und Fake hinaus. Die Umweltbelastung hat sich erheblich verringert. Müssen wir denn auch dauernd auf Teneriffa sein? Die Verkehrsstaus in NRW nehmen endlich ab! Im Homeoffice kann die Kommunikationstechnologie nun ihre Stärke ausspielen. Konsum wird zur Nebensache – es geht doch! Als Folge von Covid-19 gibt es auch Positives zu berichten! Und auch die Diskussion belebt!

Jetzt noch H. Hesse zu zitieren, das wäre mir fast schon peinlich.

Herzliche Grüße gerade auch an Deinen diskussionsfreudigen Enkel

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