E. Topol zu Long Covid – Viel mehr Fragen als Antworten

Schwere prolongierte Folgen, aber insuffizientes Wissen!

Gut, die Coronazahlen sind gegenwärtig rückläufig. Angeblich liegt die Inzidenz in Deutschland nur noch bei 70 pro 100.000 und Woche. Impfen und Masken sind aber out. Immer noch sterben fast 1000 Menschen wöchentlich an COVID-19. Also an, nicht mit Corona. Und nun auch noch das: Die Medien interessieren sich aktuell stark für Long Covid. Karl Lauterbach warnt und warnt, will die Erforschung fördern, denn etwa 10 % der Infizierten erleiden das mysteriöse Long Covid Syndrom. Weltweit sind davon Millionen von Menschen betroffen. Der berühmte Arzt und Publizist E. Topol schreibt jetzt auch zu Long Covid – Ob es außer vielen Fragen auch Antworten gibt?

Recht unpräzise Grafik mit Symptomen und Pathophysiologie
(aus E. Topol, Nature 2023, Open Access)

Hier geht es um die große Metaanalyse vom Januar 2023 in Nature Reviews Microbiology der Gruppe um E. Topol. Über 14 eng bedruckte Seiten mit nicht sehr präzisen, ja geradezu oberflächlichen Bildern und einer unverlinkten, mit vielen offenen Feldern versehenen Tabelle werden mögliche Symptome und verschiedene Pathophysiologien und sogar Therapieoptionen ausgebreitet. 220 Literaturstellen werden bemüht, viele davon als Preprints. Das ist wissenschaftlich ein Meisterwerk des Fleißes. Hut ab davor! Im Jargon der Zeit sozusagen ein Kampfpanzer M1 Abrams der Wissenschaft. Doch leider hilft der massive Auftritt nicht darüber hinweg, dass es noch keine uniforme Definition von Long Covid gibt. Damit ist auch keine einheitliche Pathophysiologie des bedauernswerten Zustandes festzustellen. Und erst recht keine allgemeingültige Therapie der Erkrankung.

Symptome, Behandlung, Quellen und Kommentare
(aus E. Topol, Nature 2023, Open Access)

Mögliche, mehr spekulative Zusammenhänge dominieren den Artikel. Der Wille zur Themenbesetzung „Long Covid“ ist unverkennbar. Wo bleibt die wirkliche Innovation? 6765 Artikel sind gegenwärtig in PubMed unter dem Tag „Long Covid“ klassifiziert. Bei bereits 132 dieser Artikel in PubMed handelt es sich um Metaanalysen. Es ist somit bereits sehr viel zu der Erkrankung publiziert. Wirklich. Das massige Werk detailliert zu kommentieren, steht mir nicht zu. Deshalb beziehe ich mich zumeist auf die Aussagen in der Zusammenfassung, da es dort konkret wird.

Konklusionen der Metaanalyse von E. Topol
  • Long COVID is a multisystemic illness encompassing ME/CFS, dysautonomia, impacts on multiple organ systems, and vascular and clotting abnormalities.
  • It has already debilitated millions of individuals worldwide, and that number is continuing to grow.
  • On the basis of more than 2 years of research on long COVID and decades of research on conditions such as ME/CFS, a significant proportion of individuals with long COVID may have lifelong disabilities if no action is taken.
  • Diagnostic and treatment options are currently insufficient, and many clinical trials are urgently needed to rigorously test treatments that address hypothesized underlying biological mechanisms, including viral persistence, neuroinflammation, excessive blood clotting and autoimmunity.

Ich bin verblüfft, dass hier Long Covid und CFS/ME ohne eine umfassende Begründung gemergt werden. Zwei unklare Erkrankungen werden dadurch nicht besser beschrieben, dass man sie verbindet. Eine wissenschaftliche Begründung liefert der umfangreiche Artikel dafür nicht. Die große Zahl vieldeutiger Befunde, so wie im Beitragsbild sichtbar, rechtfertigen nicht die Gleichsetzung. CFS/ME hätte schon alleine eine solche umfassende Metaanalyse verdient. Zumal der Begriff die Schwäche hat, dass es sich hier bekanntermaßen nicht um eine Encephalomyelitis handelt.

Es besteht eine enorm große gesellschaftliche Bedeutung weltweit, darauf wird ausdrücklich hingewiesen. Diagnose und Therapie werden kurz und prägnant als insuffizient charakterisiert. Weitere Studien seien dringend erforderlich, obwohl es schon viele davon gibt. Mit Viruspersistenz, Neuroinflammation, gesteigerter Blutgerinnung und Autoimmunität werden 4 mögliche Ursachen und damit Ziele der Forschung genannt. Neu sind sie allerdings nicht.

Ich bin verwundert, dass in dem umfangreichen Artikel nur mit wenigen Worten auf die psychosozialen Komponenten der oft schweren Langzeit-Erkrankung „Long Covid“ hingewiesen wird. Ich verweise auf meine Ausführungen zur Psychosomatik dieser Erkrankung. Selbst wenn jemand ein rein somatisches Krankheitskonzept vertritt, so haben somatische Erkrankungen immer auch psychische Implikationen. Letztere können die Gesamterkrankung sogar dominieren. Das im o. g. Artikel mit „Widespread lack of postviral knowledge and misinformation“, also rein autoritär von oben herunter abzutun und Kollegen abzukanzeln, ist eigentlich ein starkes Stück von Herrn Topol. Wo bleibt da die Souveränität?

Ich bin gespannt, wie die Diskussion ausgehen wird. Analogie statt Evidenz? E. Topol zu Long Covid: Viel mehr Fragen als Antworten.


Nachtrag

Ein Originalbild und die Tabelle zeige ich, da sie die Schwächen der Evidenz des Artikels visuell widerspiegeln. Das ist möglich, denn der Artikel ist auch „available via the PMC Open Access Subset for unrestricted research re-use and secondary analysis“. Der Originalartikel ist zusätzlich über obigen Link bei Springer frei zugänglich. Das Beitragsbild stammt aus einer anderen Studie zu Long Covid von 8/2021, ebenfalls in Nature publiziert. Es soll die außerordentliche Vielfältigkeit der Symptome und Befunde zeigen.

Am Abend des 23.1.2023 um 23:30 hat die ARD über diese Studie berichtet, mit dem Titel „65 Millionen Menschen leiden an Long Covid“. Eine fachliche Einordnung der „Überblickstudie“ erfolgt hier nicht. Prof. C. Scheibenbogen, die Fatiguespezialistin von der Charité, kommt wieder ausführlich zu Wort. Mia Diekow von der Betroffeneninitiative „Long COVID Deutschland“ spricht gar von einem unhaltbaren Zustand. Das Krankheitsbild ME/CFS sei lange bekannt. Doch es sei nie ausreichend untersucht worden. In PubMed finde ich allerdings 10399 Publikationen bei der Suche nach „chronic fatigue syndrome“, was eine hohe Zahl ist.


Ich stelle fest, dass es eine sehr große Zahl von Publikationen zu Long Covid und CFS/ME gibt. Warum bisher keine Fortschritte erkennbar sind, mögen doch die Experten erläutern. Vielleicht fehlt wirklich die geniale Erkenntnis, also der Durchbruch in der Forschung. Oder aber das Krankheitskonzept als solches kann die hohen Erwartungen nicht erfüllen. Ich tippe derzeit auf Letzteres. E. Topol zu Long Covid – Es bleiben viel mehr Fragen als Antworten, so ist meine Meinung.

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