Am 25.10.23 erfolgte die Wahl des vergleichsweise unbekannten Abgeordneten aus Louisiana zum Sprecher des Repräsentantenhauses. Das ist der zweitwichtigste politische Posten in den USA nach dem Präsidenten. Gewählt wurde er als vierter Kandidat, wobei 220 der 429 Abgeordneten für ihn stimmten. Aber wer ist dieser Mike Johnson eigentlich? Was bedeutet diese Wahl für uns in Deutschland?
Johnson hat einen unspektakulären Werdegang. Er studierte an der Louisiana State University zunächst BWL und anschließend Jura. Seine Ehefrau ist als Lehrerin und „Pastoral Counseler“ ausgebildet. Sie haben vier Kinder. Das Familienbild auf seiner Website entspricht dem erwartbaren Klischee. Verheiratet sind die beiden in einer religösen „Super-Ehe“, der convenant marriage, mit eingeschränktem Recht auf Scheidung. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. Details zum weiteren Werdegang kann man in der englischsprachigen Wikipedia nachlesen.
Soweit ich gelesen habe, war der religiöse Fundamentalist vor seiner Zeit in Washington u. a. für den Ark Encounter creationist Theme Park als Jurist tätig. Dort dürfen seitdem nur noch Kreationisten, also richtige Christen, arbeiten. Es handelt sich um einen großen Freizeitpark mit Themen des „Junge Erde Kreationismus“. Hauptattraktion ist eine riesige Arche Noah. Die Dinosauriere hätten gleichzeitig mit den Menschen gelebt, sie seien mit der großen Flut ausgestorben. Warum allerdings wurden sie nicht in der Arche mitgenommen?
Mal ehrlich, da sind wir Deutsche offensichtlich fast ahnungslos. Muss man den Kreationismus kennen? Ich denke dennoch, dass es den auch bei uns gibt. Ich meine damit die Weltsicht von Evangelikalen. Die Bibel wortwörtlich nehmen und die Evolution samt wissenschaftlichem Denken generell ablehnen, das ist gemeint. Schätzungsweise 2,5 Millionen Menschen in Deutschland sollen so ähnlich denken. In meiner Heimat Gießen gibt es sogar eine evangelikale theologische Hochschule. Insofern ist dieses Denken in Deutschland auch präsent.
Bis hierher könnte man noch sagen: OK, Johnson ist vielleicht etwas schrullig, was soll’s. Deswegen möchte ich noch einige seiner sonstigen bisher bekannten Positionen schildern. Johnson gehört nämlich zur extrem konservativen, religiösen Gruppe der Republikaner. Ein Rechtsaußen sozusagen. Er war auch Unterstützer von Trump im Rahmen dessen Putschversuches beim Sturm auf das Kapitol. Selbstverständlich vertritt er die bekannten, sehr konservativen Positionen zu Abtreibung, Scheidung, Homosexualität (Don’t say gay), LGBT-Rechten, Frauenrechten und menschengemachtem Klimawandel (gesponsort von der Ölindustrie).
Soziale Sicherheit, Medicare, Medicaid sollen – am besten schon gestern – Einschnitte erfahren. Sie seien eine existenzielle Bedrohung des amerikanischen Experiments. Amerikanisches Experiment, das klingt erstmal nicht aufregend, ist aber letztlich nur ein rechter wirtschaftsliberaler Terminus technicus. Steuersenkungen gehören natürlich auch zum Portfolio. Ein Mindestlohn wird selbstverständlich auch abgelehnt. Johnson tritt sogar für das Schulgebet ein. Das ist schon krass. MAGA ist auch sein Motto, das impliziert, dass Amerika gegenwärtig unbedeutend sei. Es geht den Konservativen um eine wie religös imponierende Größe des Landes, eine besondere Dimension. Hier trifft sich das konservative Weltbild mit der Religion. In diesem Falle christlich gefärbt.
Strebt denn die religiöse Rechte der USA eine Art christliches Mullah-Regime an? Soll eine Art Theokratie errichtet werden, wie sie leider in vielen undemokratischen Ländern der Welt besteht? Die herrschende Gruppe propagiert dann eine Art Gottesstaat. Selbsternannte oder pseudodemokratische gewählte Führer umgeben sich mit (pseudo-)religösen Symboliken.
Die Rechte der Bevölkerung, von Einzelpersonen und besonderen Gruppen, gerade auch von Minderheiten fallen anschließend übergeordneten Zielen zum Opfer. Bei Johnson ist auch zu sehen, dass Begriffe umgedeutet werden. Wahrheit ist nicht erst seit Trump nur noch ein ideologischer Kampfbegriff, die Wissenschaftlichkeit wird von Pseudowissenschaft übernommen. Ähnlich ist es mit dem Wort Freiheit, das zu einer hohlen Phrase verkommt. Freiheit sollte doch nach Rosa Luxemburg die Freiheit der Andersdenkenden sein. Oder doch nicht?
Auch wenn Deutschland nicht in dem Maße wie die USA fundamentalistisch oder religiös geprägt ist, so gibt es dennoch auch hier starke Kräfte, die die liberale Demokratie durch autoritäre Strukturen ersetzen möchten. Es gibt derzeit eine regelrechte Hasskampagne der Rechten gegen freiheitliches und liberales Denken. Dazu ist es ein starkes Stück, wie heute mit rechtsradikalen Sprüchen offen gepunktet wird. Die gegenwärtige Diskussion um die Migrationsproblematik sehe ich in diesem Zusammenhang. Hier wird eine schwache gesellschaftliche Gruppe Ziel der zunehmenden Diskriminierung. Haltet den Dieb! Das hatten wir schon einmal. Wir wissen, wo das endet. Wer ist Mike Johnson? Sein Gedankengut gibt es jedenfalls auch bei uns.
Haushaltsstreit im Kongress: Ein Hardliner entdeckt seinen Realitätssinn. Trump-Anhänger Mike Johnson hat einen Kompromissvorschlag vorgelegt, dem auch die Demokraten zustimmen konnten. So schreibt die Süddeutsche Zeitung am 15.11.2023. Genau das, was seinem Vorgänger McCarthy den Job als Speaker kostete, hat der bisher unbekannte Newcomer aus Louisiana nun auch praktiziert. Die Republikaner sind ganz schön gaga bei ihrem MAGA.