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Der alte Kornspeicher in Bad Westernkotten

Auszeit von der Auszeit

Nun bin ich mehr als 5 Jahre im Ruhestand, bin sozusagen in einem Dauer-Sabbatical. So jedenfalls kommt mir das manchmal vor. Vorher hatte ich in der Zeit meines Berufslebens nie eine Auszeit, habe nach dem Abitur keine Weltreise gemacht, direkt nach dem Examen mit dem Job angefangen, nie eine krankheitsbedingte oder sonstige längere Auszeit im Job gehabt. Zuletzt war ich 35 Jahre am Stück beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt. Wenn nicht Corona gekommen wäre, womöglich wäre ich immer noch zumindest in Teilzeit tätig. Doch heute gönnen wir uns mal eine Auszeit von der Auszeit.

Man sollte denken, dass Ruhestand die perfekte Dauererholung darstellt. Doch das ist mitnichten so. Die Dinge des Alltags greifen nach einem, egal ob Rentner oder nicht. An erster Stelle sind vermeintliche oder gar reale gesundheitliche Einbrüche zu nennen. Klar, wenn man älter wird, kommen die Krankheiten, da kann man beinahe nichts machen.

Oder wir machen uns Sorgen wegen der politischen Lage, in der der Nationalsozialismus wieder seine hässliche Fratze zeigt. Ich finde es schwer erträglich, wenn etliche Leute Nazi-Memes auf ihren Autokennzeichen zur Schau stellen. Oder generell eine Entsolidarisierung der Gesellschaft ansteht. Ob es um Migranten oder früher Juden, ob es um Strafaktionen gegen Randgruppen der Gesellschaft oder gar deren Auslöschung früher geht. Die Analogien sind offensichtlich.

Der nichtendenwollende Krieg Russlands gegen die Ukraine tangiert zunehmend Europa. Trump bzw. MAGA propagieren genau wie Putin eine europafeindliche Doktrin. Beide haben die Schwächung Europas zum Ziel. Mit Nationalstaaten können die global player nämlich machen, was sie wollen. Ein geeintes Europa ist alleine schon wegen der wirtschaftlichen Größe eine bedeutsame Weltmacht. Alle unsere Medien prügeln – in welchem Auftrag auch immer – auf Merz ein wie früher auf Scholz, Habeck und die Ampel überhaupt. Cui bono, frage ich mich. Vermutlich geht es übergreifenden Machtverbünden um den Ersatz einer nicht perfekten Demokratie (Merke: Demokratie und perfekt schließen einander aus!) durch eine rechte Diktatur.

Zur Familienforschung musste man mich bekanntlich beinahe hin prügeln. Ich wusste ja, dass die mit viel Arbeit verbunden ist. Mir war auch klar, dass sich persönliche Abgründe auftun könnten. Inzwischen habe ich schon viel Zeit damit verbracht, mich dabei über die überbordende Kommerzialität von MyHeritage geärgert. Ist ja auch ein amerikanisches Unternehmen. Von Datenschutz sprechen, den aber in Wirklichkeit überall aushöhlen. Wenn ich die gleichen Personen suche, sind die Abgrenzungen zu Stammbäumen anderer Nutzer nahezu weg. Die exportierten GEDCOM-Files sind im Sinne von MyHeritage total kontaminiert. Und dann erst die AGB! Finger weg! So sehe ich es heute.

Nach einer intensiven Initialphase arbeite ich nun mit webtrees, kein kommerzieller Ansatz, mit richtiger Benutzerverwaltung. Ich gebe aktuell Daten auch zu Lebenden aus meinen persönlichen Unterlagen ein, verwende GEDBAS und andere öffentlich zugängliche Quellen. Natürlich finde ich hier Ereignisse, die mich zum Nachdenken anregen, die mir vergangenen Zeiten vor Augen führen. Dann erscheinen mir die Geister, die ich rief, manchmal nachts, aus dem Schlaf heraus. Aus meiner Sicht ist die Familienforschung somit nicht zum Zeitvertreib vor dem Einschlafen geeignet.

Schließlich gibt es hier das normale Leben: Krankheit, Drogenabhängigkeit, Alkoholismus, psychische Erkrankung, Suizid, Verbrechen, Mord, Sektierertum, Entfremdung, Selbstdarstellung, Scham, Einsamkeit, Kinderlosigkeit, Kinderreichtum, Tod, Genderprobleme, Homosexualität, Ehebruch, Scheidung, Rivalität, Reichtum, Protz, Armut, Alpha-Verhalten, Erfolg, Selbstzweifel, Versagen, Altruismus neben Besserwisserei. Das ganz übliche Spektrum der menschlichen Existenz also. Mit allen Ecken und Kanten. Bei der Beschäftigung mit der eigenen Familie komme ich mir manchmal vor, als ob ich ein kleiner Akteur in einer großen Familiensaga wäre. Mit enorm großem Spannungsbogen und ungewissem Ausgang.

Es ergibt sich von selbst, dass jede und jeder davon eine Auszeit braucht. Die erwähnte Auszeit von der Auszeit in Bad Westernkotten. Denn hier scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Fast wie betreutes Wohnen, so habe ich heute früh am Nebentisch gehört. Und am Abend zum Einschlafen keinesfalls die Spätnachrichten schauen, auch nicht den Katastrophenfilm Arctic. Der kleine Lord, wie immer zu Weihnachten gesendet, stellt Eskapismus in Reinform dar. Danach kann ich allerdings prima einschlafen, die Gespenster haben heute Nacht frei. Wann kommt eigentlich Drei Haselnüsse für Aschenbrödel?

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